Streit unter Geschwistern - wie Ihr als Eltern richtig reagiert
Sie können nicht mit, aber auch nicht ohne einander und immer wieder fliegen bei ihnen die Fetzen: Geschwister. Warum Geschwister oft besonders oft streiten, wieso Ihr nicht immer eingreifen solltet und wie Ihr einem Streit fair begegnet? Diese und noch weitere spannenden Fragen haben wir dem Resilienztrainer und Familiencoach Daniel Lassak aus Langenesslingen gestellt.
Herr Lassak, Brüder und Schwestern kennen es wohl selbst zu gut – ist Streit unter Geschwistern nicht etwas völlig Normales?
Lassak: “Ich bin selbst mit einem 4 Jahre älteren Bruder aufgewachsen und man schaut natürlich zu ihm auf. Ich wollte immer bei allem dabei sein was er machte, das war natürlich nervtötend für ihn. Oder, ganz klassisch, wollte ich das Spielzeug mit dem mein Bruder gerade spielt und zwar sofort. Also ja, Streitigkeiten unter Geschwistern sind völlig normal und gehören zu einer gesunden Entwicklung eines jeden heranwachsenden Menschen dazu.”
Warum streiten Geschwisterkinder so oft im Vergleich zu Erwachsenen?
Lassak: “Geschwister haben eine ganz besondere Entwicklung von „Nähe“ und „Rivalität“. Wenn der Altersunterschied nicht zu groß ist, verbringen sie beim Aufstehen, Zähneputzen, Frühstück schon den Morgen miteinander und sehen sich im Schulbus und in den Pausen.
Mittagessen, Hausaufgaben, Spielen & Hobbies und am Abend das zu Bett bringen durch die Eltern. Bei dieser Menge an Berührungspunkten und unterschiedlichen Vorlieben wie Aufstehzeiten, Essen, Hobbies usw.... entsteht viel Reibung.
Auch Geschwister sind unterschiedlich, das ist kein Geheimnis
Jedes Kind hat aber auch andere Talente, Fähigkeiten und Stärken. Das eine Kind fällt die Schule ganz einfach und er bringt nur Einser mit nach Hause. Das andere Kind spielt dafür ein Instrument sehr gut. Dadurch entstehen auch Eifersüchteleien und potentielle Streits.
Und dann kommen die Eltern noch mit dem Argument: „Dein Bruder ist schon älter, deshalb darf der länger aufbleiben.“ oder „Dein kleiner Bruder muss noch wachsen, deshalb bekommt der das letzte Stück Pizza.“ Für ein Kind eine perfekte Vorlage für den nächsten „gefühlvollen“ Streit.
Die Eltern sind gefragt
Wir als Erwachsene kennen ebenso diese Situationen aus unserem Familien-, Freizeit- und Berufsalltag und geraten selbst in diese Konflikte. Doch haben wir Erfahrung, Selbstreflektion und Argumente mit denen wir eine Diskussion führen können und keinen Streit. Als Erwachsener fühlt man sich auch nicht mehr so persönlich angegriffen und in seinen Gefühlen verletzt, weil wir eine starke Identifikation mit uns Selbst haben. Gerade das entwickelt sich ja erst bei den Kindern und ist sehr wichtig für ihr ganzes Leben."
Gibt es so etwas wie „klassische“ Streit-Ursachen?
Lassak: “Ja, typisch sind das unfaire Gleichgewicht: „Wieso darf er das und ich nicht?“ in allen seinen bunten Variationen, sei es Spielzeug, Geschenke, Aufbleiben, Elternliebe und unendlich mehr.”
Wie streiten Kinder? Ist das Altersabhängig?
Lassak: “Grundsätzlich gehen mit dem Alter (ab 6-8 Jahren) die physischen Attacken zurück und psychische Tricks nehmen zu. Der Streit geht also mehr in das Verbale über. Dabei spielt aber nicht nur das Alter eine Rolle, sondern auch: Altersabstand, Geschlecht, Geschwisteranzahl, familiäre und soziale Einflussfaktoren. Es ist so individuell wie das Leben selbst.”
Muss ich als Elternteil immer Streit schlichten oder ist das sogar eher hinderlich?
Lassak: “Kinder müssen Konfliktkompetenzen erlernen, um in ihrem zukünftigen Leben auf eigenen Beinen zu stehen. Deshalb müssen wir ihnen die Chance geben, Streitigkeiten selbst zu lösen. Ein Kind muss aber auch lernen in gefährlichen Situationen sich „richtig“ Hilfe zu holen. Sei es bei den Eltern daheim oder den Erziehern und Pädagogen auf dem Schulhof. Was bedeutet aber „richtig Hilfe holen“? Ein Kind muss die ganze Situation erzählen können und auch erklären warum es dabei Hilfe braucht. Solche Übungen können Kinder lernen und wir als Eltern oder Pädagogen profitieren davon, weil wir dann viel besser einschätzen können was das Kind wirklich braucht.”
Wie erkenne ich den Unterschied zwischen einem „normalen“ Streit und einem Streit, der meinen Kindern wirklich schadet?
Lassak: “Sobald bei einem Streit ein Teilnehmer ernsthaft verletzt werden könnte, sollte ein Elternteil eingreifen. Auch wenn ein Streit über Stunden, Tage und Wochen gehen sollte, muss interveniert werden.”
Wie kann ich einen heftigen Streit begleiten?
Lassak: "Unbemerkt beobachten und dem Streit keinerlei Aufmerksamkeit schenken. Wenn sich Kinder beobachtet fühlen, suchen sie meist Hilfe bei den Eltern. Damit nehmen wir den Kindern wieder die Chance das selbst zu regeln.
Auch wenn es schwer fällt: Ruhig bleiben
Sollte die Situation eskalieren und ein eingreifen nötig sein ist es wichtig, ganz ruhig und gelassen einzugreifen. Atmen Sie selbst vorher 3-4 mal tief ein und aus und gehen Sie mit einem freundlichen Gesichtsausdruck in die Situation. Sie müssen der neutrale, ruhige Pol sein den Ihre Kinder jetzt brauchen.
10 Minuten Pause
Die Kinder sollte erstmal zur Ruhe kommen. Bei einem heftigen Streit mit Handgreiflichkeiten ist ein großer Abstand oder eine räumliche Trennung, um sich mal aus den Augen zu gehen, hilfreich. Wichtig dabei ist zu sagen, dass man sich in z. B. 10 Minuten zusammensetzt und miteinander sprechen wird.
Verstehen und vermitteln
Wenn alle in Ruhe an einem Tisch sitzen, fragt man, wer zuerst seine Geschichte erzählen möchte. Im Zweifelsfall würfelt man das aus. Die Aussagen der Kinder werden wiederholt und nachfragend zusammengefasst. Nun fragt man die Kinder, was die Lösung sein könnte und hilft dabei einen Kompromiss (jeder verliert und gewinnt ein bisschen) oder noch besser einen Konsens (neue Lösung bei der jeder zufrieden ist) zu finden.
Nochmals: Wichtig dabei ist immer Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen und nicht die Kinder mit schlechter Energie anzustecken."
Wie ist das in der Pubertät? Sollte ich da eine “andere Sprache" sprechen?
Lassak: “Ja, tatsächlich. Jugendlichen braucht man weniger mit Argumenten zu kommen als noch Kindern. Das hört sich zwar paradox an, biologisch ist es aber so, dass mit der Pubertät der präfrontale Kortex quasi abschaltet. Dieser ist zuständig für das logische und rationale Denken. Dafür ist aber die Amygdala hyperaktiv. Diese ist zuständig für emotionalen Äußerungen und die daraus resultierenden Handlungen. Bei Jugendlichen findet man deshalb einen guten Zugang über die Gefühle. Deshalb sollten Eltern sich auch immer äußern, wie sie sich gerade fühlen und auch nach den Gefühlen der eigenen Kinder erkundigen.”
Worauf kommt es bei der Streit-Prävention an?
Lassak: "Mit gutem Beispiel voranzugehen. Bleiben Sie im Alltag und stressigen Situationen ruhig und gelassen. Vormachen bleibt in den Köpfen der Kinder viel besser als vorsagen. Üben Sie in Rollenspielen mit Ihren Kindern mögliche Streitereien und Konflikte nach und zeigen Sie Ihrem Kind das es Möglichkeiten abseits von Beleidigungen und Gewalt gibt."
Wie bleibt man im Alltag ruhig und gelassen, wenn die Kids sich fetzen?
Lassak: "Lernen Sie Situationen zu erkennen, in denen Sie hätten anders reagieren sollen. Selbstreflexion ist der erste Schritt zur Veränderung. Wenn Sie dann in einer stressigen Situation sind, versuchen Sie diese zu verlassen oder für einen Moment zu pausieren. Mir persönlich hilft es immer die 1-2-3 Bauchatmung zu machen. Sie atmen mit geschlossenen Augen bewusst und konzentriert tief in den Bauch ein. Bei 1 ist die Luft im Mund, bei 2 in der Lunge und bei 3 im Bauch. Dann halten sie 4 Sekunden die Luft an und atmen wieder vollständig aus. Einfach solange wiederholen bis es ihnen besser geht. Das kann auch gern mal 30 Sekunden gehen. Sie haben immer die Wahl wie sie reagieren können."
Ab wann sollte ich professionelle Hilfe holen?
Lassak: "Wenn ein Kind körperliche Symptome zeigt, z. B. unter Bauch- oder Kopfschmerzen leidet, ohne körperliche Ursache. Auch wenn der Streit in gefährlicher physischer oder psychischer Gewalt ausartet, sollte unbedingt professionelle Hilfe geholt werden. Wenn es täglich zu heftigen Streitereien kommt bei der die gesamte Familienharmonie gefährdet ist oder auch andere Lebenssituationen beeinflusst werden: Schule, Beruf und Freizeit.
Dabei kann die erste Hilfe auch ein gutes Buch sein mit Übungen die man gemeinsam mit der Familie macht. Helfen kann auch, sich gemeinsam auf einen bestimmten Termin in der Woche zu einigen und für 1-2 Stunden für die Familienharmonie zu arbeiten. Erst wenn die Familiensituation einen dritten Unparteiischen braucht ist ein Weg zum Familiencoach ratsam."
Was war der heftigste Fall in Sachen Geschwisterstreit, den Sie begleiteten?
Lassak: “Auf den ersten Blick sah der ”Streit" nicht heftig aus. Es gab keinerlei Gewalt. Es war eher ein psychischer Druck der vom älteren Bruder auf die jüngere Schwester stattfand. Der jüngeren Schwester fällt alles was mit Lernen (Schule oder Instrumente) angeht sehr leicht. Aber auch ihre Gelassenheit, Ruhe, Spaß und soziale Kontakte waren bei ihr ausgeprägter als bei ihrem älterer Bruder.
Der Schwester fiel alles so viel leichter
Das führte bei ihm zu schlimmen Eifersüchteleien, er redete die eigene Schwester schlecht und sabotiert sie. Die Distanz zwischen den beiden wurde immer größer. Auch unbewusst angefeuert durch die Eltern, die versuchten beide Kinder immer zusammenzubringen. Ausflüge und Unternehmungen mussten immer mit der gesamten Familie gemacht werden. Dies führte zu noch mehr Konflikten.
Wenig Luft zum Atmen
Der erste Schritt war es, dabei erstmal allen Familienmitgliedern "Luft zum Atmen" zu verschaffen. Es war ganz offensichtlich das Mutter und Tochter, sowie Vater und Sohn Hobbys und Vorlieben miteinander teilten. Durch getrennte Ausflüge und ein wenig Distanz konnte die Familie gemeinsame Ausflüge dann auch wieder genießen und eine Annäherung zwischen den Geschwistern fand wieder statt.
Jedes Familienmitglied brauchte anders Hilfe
Durch Gespräche mit der Familie, aber auch in Einzelgesprächen, wurden gemeinsame Wünsche und Ziele gefunden. Dabei brauchte jedes Familienmitglied anders Hilfe, um an sein Ziel zu gelangen."
Zur Person:
Mein Wunsch und Ziel ist es, dass Kinder, Jugendliche, Eltern und Pädagogen eine glückliche und zufriedene Gegenwart und Zukunft haben.
Daniel Lassak ist Selbstbehauptungs- und Resilienztrainer, Kinder-, Jugend- und Familiencoach sowie Berater für Mobbingprävention. In Einzel- oder Gruppencoachings sowie in Kindergärten und Schulen gibt er im Großraum Sigmaringen unter dem Motto “Stark mit Daniel” sowohl Kindern, Jugendlichen, Pädagogen und Eltern das Rüstzeug an die Hand, individuelle Stärken zu erkennen, Mobbing vorzubeugen, eine Wiederstandskraft zu entwickeln und somit langfristig positive Veränderungen für alle herbeizuführen.