Klimaschutz in der Formel 1: «Nicht mehr als Greenwashing»
Ein ökologisch sensiblerer Lebensraum als die geschützte Dünenlandschaft von Zandvoort lässt sich auf der Weltkarte der Formel 1 kaum finden. In dem niederländischen Küstenort kehrt die Königsklasse des Motorsports inmitten von Damhirschen und Kreuzkröten an diesem Wochenende aus ihrer Sommerpause zurück.
Die Veranstalter des 14. Grand Prix der Saison mit ihren Nachhaltigkeitsprojekten werden von der Formel 1 als Schlüssel für die eigene «Net Zero 2030»-Kampagne gelobt. Der milliardenschwere Rennzirkus muss sich bei seinen Klimaschutzvorhaben aber scharfer Kritik stellen.
Formel 1 bis 2030 klimaneutral
«Die Formel 1 sieht, dass sie sich zum Klimaschutz verhalten muss, aber sie tut das nur oberflächlich. Wenn die Formel 1 Nachhaltigkeit nicht nur als Feigenblatt nutzen will, muss sie die CO2-Bilanz des gesamten Rennzirkus überdenken. Sie sollte sich stärker regionalisieren, statt wie im kommenden Jahr sogar 24 Rennen austragen und Massen von Menschen und Material um die Welt zu fliegen», sagte Benjamin Stephan, Verkehrsexperte bei Greenpeace, der Deutschen Presse-Agentur.
Die Formel 1 hat alleine zum Selbstschutz früher als andere Sportveranstalter grüne Projekte angestoßen. Bis 2030 will sie klimaneutral, also «Net Zero», sein. Dazu soll von 2026 an mit synthetischem CO2-neutralem Treibstoff gefahren werden. Gleichzeitig bläht sich der Kalender der boomenden Rennserie 2024 auf die Rekordzahl von 24 Grand Prix auf.
Nachhaltige Anreise der Fans
«Wenn sich die Formel 1 nicht grundsätzlich neu aufstellt, und akzeptiert, dass sich die Identität der Rennserie verändern muss, dann meint sie es nicht ernst mit dem Klimaschutz. Formel-1-Technologien, die uns bei der Mobilitätswende nicht weiterbringen, senden die falsche Botschaft. Bisher haben die Vorhaben der Formel 1 für mich nur kosmetischen Charakter und sind nicht viel mehr als Greenwashing», erläuterte Greenpeace-Sprecher Stephan. Unter Greenwashing versteht man im Kern einen Etikettenschwindel mit Nachhaltigkeitszielen.
Die Formel 1 verhehlt nicht ihr Ziel, mit PS-Entertainment viel Geld zu verdienen. Von Abu Dhabi bis Zandvoort. «Wir müssen und wollen das Formel-1-Event der Zukunft veranstalten, das nicht unbedingt größer, aber besser, ansprechender, innovativer, nachhaltiger und inklusiver ist», sagte Jan Lammers, der Streckenchef des malerisch an der Nordsee gelegenen Kurses in Zandvoort. Ein Schwerpunkt des Großen Preises der Niederlande ist die nachhaltige Anreise der Fans. Im vergangenen Jahr kamen nach offiziellen Angaben 99 Prozent der Besitzer von Eintrittskarten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß an die Rennstrecke.
Reisen als CO2-Verursacher
Die Verfolgungsjagden auf dem Asphalt sind auch nicht das folgenschwerste Klimaproblem der Formel 1. An den rund 256.000 Tonnen CO2, die die Formel 1 ihrem Nachhaltigkeitsbericht 2019 zufolge bei 21 Rennen ausgestoßen hat, machten die Rennwagen der zehn Teams nur einen Anteil von 0,7 Prozent aus.
Fast 73 Prozent wurden bei der Logistik und den Reisen verbraucht. Im Fußball ist es ähnlich: Am meisten Kohlenstoffdioxid wird durch die Bewegungen von Vereinen und Fans zu den jeweiligen Spielorten erzeugt. Neben der Produktion ist der Transport der tonnenschweren Ausrüstung rund um den Globus ist ein anderer einschneidender Faktor in der Formel 1.
Kritik von Sebasitan Vettel
«Kreuz und quer durch die Welt zu fliegen und dazwischen immer wieder für ein paar Tage nach Europa macht keinen Sinn und auch keinen Spaß», kritisierte schon der zurückgetretene viermalige Weltmeister Sebastian Vettel und warf der Rennserie immer wieder ein zu langsames grünes Entwicklungstempo vor. Die Formel 1 arbeitet immerhin auch daran, den Kalender logistisch sinnvoller zu gestalten, indem kommendes Jahr etwa der Grand Prix von Katar unmittelbar vor dem Saisonfinale in Abu Dhabi stattfindet.
«Performance um jeden Preis, ohne an die weiteren Auswirkungen zu denken, ist in der heutigen Welt nicht mehr akzeptabel», räumte Mercedes-Teamchef Toto Wolff ein, als sein Rennstall den jährlichen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichte. Bei den Europa-Rennen etwa werden die Lastwagen von Mercedes, die die gesamte, für jedes Rennen erforderliche Fracht, transportieren, mit einem Biokraftstoff betankt. Das Ziel: Die Emissionen pro zurückgelegtem Kilometer um knapp 90 Prozent zu reduzieren.
Ab 2026 mit Hybridantrieb
Der Sprit ist ein zentraler Bestandteil der grüneren Formel 1. Derzeit fährt die Königsklasse mit einem Sprit, der zehn Prozent Bio-Anteil enthält. Das neue Motorenreglement ab 2026 schreibt einen Hybridantrieb vor, bei dem die Hälfte der Leistung elektrisch erzeugt wird und der Verbrenner ausschließlich mit 100 Prozent klimaneutralem Kraftstoff betrieben wird. Mit den sogenannten E-Fuels, also synthetischen Treibstoffen für den CO2-freien Betrieb von Fahrzeugen, will die Formel 1 ein Testlabor für die Industrie werden. Die E-Fuels sind im Produktionsprozess allerdings sehr energieaufwändig.
«Ein Argument der Formel 1 und der Hersteller war in der Vergangenheit immer, neue Technologien zu entwickeln, die später in Serienautos wandern und am Ende allen etwas bringen. Die Autoindustrie entwickelt sich aber mittlerweile fast ausschließlich in Richtung E-Mobilität. Verbrennungsmotoren, selbst wenn sie in der Formel 1 noch ein bisschen effizienter werden sollten, sind aus der Zeit gefallen», sagte Greenpeace-Experte Stephan. «Die Formel 1 will zwar künftig synthetische Kraftstoffe nutzen und setzt auch Biokraftstoffe ein, diese sind aber keine Lösung, weil sie ineffizient und zu teuer sind. Biokraftstoffe lassen sich in den nötigen Mengen nicht nachhaltig erzeugen, sie sind also nicht massentauglich. Spätestens in der aktuellen Transformation entkoppelt sich die Formel 1 vom Rest der Welt, weil sie sich nicht vom überholten Verbrenner trennen kann.»
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