Justizreform in Israel schreitet voran - Herzog in den USA
Ungeachtet anhaltender Proteste will Israels Regierung einen Teil ihrer umstrittenen Pläne zum Umbau der Justiz zeitnah verabschieden. Die Koalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat dazu am kommenden Sonntag eine Sondersitzung im israelischen Parlament (Knesset) beantragt, wie mehrere israelische Medien berichteten. Mit der finalen Abstimmung wird jedoch erst am Montagmittag gerechnet.
Zuvor muss der Justizausschuss im Parlament den Gesetzestext noch final billigen und an das Plenum übermitteln. Am Dienstag hatte das Gremium dazu nach tagelangen Beratungen die Abstimmung über mehrere Tausend Vorbehalte aus der Opposition begonnen. Unklar war zunächst, wann diese abgeschlossen sein wird. Am Mittwochmittag wurde die Sitzung zunächst für einige Stunden unterbrochen.
Herzog spricht im US-Kongress
Israels Präsident Izchak Herzog setzte unterdessen seinen Besuch in den USA fort. In einer Rede vor beiden Kammern des US-Parlaments zeigte er sich überzeugt von der Widerstandsfähigkeit der Demokratie seines Landes.
«Mir sind die Unzulänglichkeiten der israelischen Demokratie sehr wohl bewusst und ich bin mir der Fragen bewusst, die unsere größten Freunde stellen», sagte Herzog in offensichtlicher Anspielung auf die Bedenken der USA wegen der Justizreform.
Die hitzigen und schmerzhaften Debatten der vergangenen Monate sowie der Protest auf den Straßen seien jedoch deutliche Beweise dafür, wie «lebhaft» die Demokratie sei. Er werde als Präsident alles für einen breiten Konsens tun, versicherte er.
Herzog hielt die Rede anlässlich des 75-jährigen Bestehens Israels. Er ist nach seinem Vater, Chaim Herzog, der zweite israelische Präsident, der vor dem Kongress spricht. Am Abend wollte Herzog noch mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris im Weißen Haus zusammenkommen. Es wird erwartet, dass auch dort das umfassende Gesetzesvorhaben der Netanjahu-Regierung Thema sein wird.
Herzog hatte bereits am Dienstag bei einer Begegnung mit US-Präsident Joe Biden versucht, den wichtigsten Verbündeten zu beruhigen. «Die israelische Demokratie ist solide, stark und unverwüstlich», sagte Herzog. Zugleich bezeichnete er die innenpolitische Lage in Israel als «Krise», aus der er einen Ausweg suche.
Proteste dauern an
Am Mittwoch versammelten sich landesweit erneut Hunderte Demonstranten an mehreren Orten, um gegen das Vorhaben zu protestieren. Dutzende Vertreter des Medizinbereichs legten Medienberichten zufolge für rund zwei Stunden ihre Arbeit nieder. Krankenhäuser etwa in Tel Aviv und Haifa beteiligten sich demnach an dem von der Ärztekammer initiierten Warnstreik.
Betroffen war den Berichten nach nur ein Teil der medizinischen Einrichtungen. Einige Demonstranten setzten zudem einen in der Nacht begonnen Protestmarsch von Tel Aviv nach Jerusalem fort. Die Protestbewegung umfasst weite Teile der israelischen Gesellschaft.
Insbesondere aus dem Militär nimmt der Druck auf die Regierung massiv zu. Hunderte Reservisten der israelischen Luftwaffe wollen wegen des Vorhabens der rechts-religiösen Regierung nicht mehr zum Dienst erscheinen, wie israelische Medien unter Berufung auf Armeekreise berichteten. Einige Reservisten wollen ihren Dienst demnach sofort, andere erst dann einstellen, sobald der wichtige Teil der Justizreform in Kürze verabschiedet wird.
Experten warnen schon länger, die Dienstverweigerung einiger Hundert Reservisten könnte die Einsatzfähigkeit der Luftwaffe enorm einschränken. Das Militär gab den Berichten nach aber an, es könne derzeit seine Einsatzbereitschaft aufrechterhalten.
Am Mittwochabend protestierten auch wieder mehrere Hundert Menschen vor dem US-Botschaftsgebäude in Tel Aviv. Die Organisatoren appellieren an die USA, ihren Einfluss zu nutzen und Israels Regierung an ihren umstrittenen Plänen zu hindern.
Umstrittene Pläne
Der Gesetzentwurf ist einer von mehreren Teilen des Vorhabens der rechts-religiösen Netanjahu-Regierung zur Schwächung der unabhängigen Justiz. Den Plänen nach soll es dem Höchsten Gericht nicht mehr möglich sein, Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister als «unangemessen» zu bewerten. Zu Jahresbeginn hatten die Richter etwa die Ernennung des Vorsitzenden der Schas-Partei, Arie Deri, zum Innenminister wegen dessen krimineller Vergangenheit als «unangemessen» eingestuft. Daraufhin musste Netanjahu seinen Vertrauten entlassen.
Beobachter erwarten, dass die Koalition dies mit dem neuen Gesetz wieder rückgängig machen will. Kritiker befürchten zudem, dass es zu willkürlichen Entlassungen von Gegnern der Regierungspolitik in entscheidenden Positionen kommen könnte.
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