Häusliche Gewalt - Wenn das engste Umfeld zur Gefahr wird
Der Anstieg der häuslichen Gewalt in den vergangenen Jahren galt bis zuletzt vor allem als Begleiterscheinung der Corona-Krise. Aber auch nach dem Ende der Pandemie scheint sich die negative Entwicklung fortzusetzen: Im vergangenen Jahr sind in Deutschland deutlich mehr Fälle gemeldet worden als im Vorjahr. Das zeigt das aktuelle Lagebild zur häuslichen Gewalt, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Einige wichtige Erklärungen:
Was ist häusliche Gewalt?
Bei häuslicher Gewalt greifen laut der Soziologin Petra Brzank viele Gewaltformen ineinander. Das Ziel: Macht und Kontrolle über eine andere Person zu erlangen und zu festigen. «Dazu zählen körperliche, sexualisierte, psychische, ökonomische und auch soziale Gewalt, also etwa das Isolieren der Frau von Freunden und Familie», sagt Brzank, die an der Hochschule Nordhausen in Thüringen lehrt.
Das BKA zählt zur häuslichen Gewalt alle Formen körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt zwischen Menschen, die in einer familiären oder partnerschaftlichen Beziehung zusammenwohnen. Sie beschreibt laut BKA auch Gewalt in Familie oder (Ex-)Partnerschaft, die nicht im gemeinsamen Haushalt geschieht.
Wo fängt häusliche Gewalt an?
Häusliche Gewalt beginnt nicht erst mit körperlichen Übergriffen. Es ist vielmehr ein schleichender Prozess, der oft etwa mit Kritik, Eifersucht, Bedrohungen, Beschimpfungen und Kontrolle anfängt, wie Petra Söchting, Leiterin des bundesweiten Hilfetelefons «Gewalt gegen Frauen», erklärt. «Ganz typisch ist, dass die Situation dann mehr und mehr eskaliert, dass die Grenzverletzungen stärker werden, und es dann irgendwann tatsächlich auch zu massiven körperlichen Übergriffen kommt.»
Wie verbreitet ist häusliche Gewalt in Deutschland?
Im vergangenen Jahr sind in Deutschland deutlich mehr Fälle häuslicher Gewalt gemeldet worden. 240 547 Opfer wurden gezählt, 8,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Im Bereich der Gewalt in Partnerschaften registrierten die Behörden 157 550 Fälle, wie die Deutsche Presse-Agentur am Sonntag erfuhr. Zuvor hatte die «Bild am Sonntag» berichtet. Das entspricht 432 Fällen pro Tag. 2021 waren es 144 044 Fälle. Der Anstieg liegt bei 9,4 Prozent. Rund 80 Prozent der Opfer waren Frauen. 78 Prozent der Verdächtigen waren Männer. 40 Prozent der Täter waren Ex-Partner, 60 Prozent aktuelle Partner.
Wie hoch wird die Dunkelziffer geschätzt?
Die Zahlen häuslicher Gewalt dürften weit höher liegen als die Zahlen aus den Auswertungen des Bundeskriminalamtes, die nur die bei der Polizei gemeldeten Fälle enthalten. Dunkelfeld-Studien gehen davon aus, dass 25 Prozent der Frauen im Laufe ihres Lebens häusliche Gewalt erleben, wie Soziologin Brzank sagt. In den Corona-Jahren habe das Gefährdungspotenzial zugenommen, erklärt die Leiterin des Hilfetelefons: Mehr Frauen hätten angerufen, und Rat und Unterstützung gesucht.
An wen können sich Betroffene wenden?
Bundesweit gibt es rund 400 Frauenhäuser, rund 100 Schutzwohnungen und mehr als 750 Beratungsstellen. Wer den Gang zur Polizei oder zu einer Beratungsstelle scheut, kann auch über Chats und Hilfetelefone Unterstützung erhalten. «Der erste Schritt nach außen fällt Betroffenen oft unglaublich schwer», sagt Hilfetelefon-Leiterin Söchting. Über die Nummer 116 016 könnten Frauen kostenlos, anonym und vertraulich rund um die Uhr anrufen. Die mehrsprachigen Beraterinnen zeigen Handlungsoptionen auf, helfen etwa bei der Entwicklung von Notfallplänen. Für gewaltbetroffene Männer gibt es das Hilfetelefon «Gewalt an Männern» unter der Nummer 0800 1239900.
Was können Außenstehende tun?
Bemerke man Gewalt oder Aggressionen - ob in der Familie, der Nachbarschaft, bei Freunden oder Bekannten - gilt laut Söchting: «Es ist wichtig, nicht wegzuschauen.» Man könne versuchen, konkrete Hilfe anzubieten, nach Beratungsmöglichkeiten suchen oder vorschlagen, zu Beratungsstellen mitkommen. Auch Soziologin Brzank rät: «Sensibel ansprechen, nachfragen, die eigenen Sorgen deutlich machen. Mich nicht distanzieren und weiterhin Freundschaft und Offenheit signalisieren.»
Wie kann man Kinder am besten schützen?
«Kinder erleben die Gewalt mit, sie sehen und hören ja, was passiert», sagt Söchting. Auch wenn sie nicht selbst Gewalt erlebten, seien sie immer Mitbetroffene. Wichtig sei, den Kinderschutz im Blick zu behalten und Unterstützungsangebote zu finden. Kinder, Jugendliche und Eltern können auch anonym und kostenlos unter dem Kinder- und Jugendtelefon «Nummer gegen Kummer», anrufen. Die Nummer lautet 116 111.
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