«Große Namen und viel Geld»: Machtprobe um Neuzugänge
Das heikle Kräftemessen um die Expansion des Starterfelds droht der Formel 1 die Sommerferien zu verderben.
Mit einer finalen Warnung schickte der Chef des Weltverbands Fia die Widerständler im Fahrerlager in die letzten Runden vor der Urlaubspause. «Für mich ist klar, dass die Fia die Verträge respektieren muss, wir werden von der EU reguliert. Wir können nichts manipulieren», sagte Mohammed Ben Sulayem vor dem Großen Preis von Belgien. Er wolle seine Entscheidung über die Aufnahme eines oder sogar zwei weiterer Teams in den nächsten Wochen verkünden.
Gegen den Willen vieler Rennställe, die das wachsende Milliardengeschäft nicht mit weiteren Rivalen teilen möchten, scheint der Fia-Präsident eine Erweiterung durchdrücken zu wollen. Sein Argument: Der von allen Parteien unterzeichnete Grundlagenvertrag lässt Platz für bis zu zwölf Teams. «Wenn ein Team Interesse hat und unsere Regeln das ermöglichen, wie können wir dann Nein sagen», ließ er das Fachportal «formula.hu» wissen.
Es gehe «um große Namen und viel Geld», sagte Ben Sulayem. Den jüngst von mehreren Teamchefs erneuerten Vorschlag, Interessenten könnten doch einen der zehn bestehenden Rennställe übernehmen, wischte der 61-Jährige beiseite. «Wenn ein großes Team in die Formel 1 kommen will, können wir nicht sagen: Kauf dich bei einem Stall ein oder du darfst nicht kommen. Ich denke, das ist falsch.»
Cadillac-Einstieg voll im Gange
Damit darf sich vor allem Mercedes-Teamchef Toto Wolff angesprochen fühlen. Zu Beginn des Monats hatte der Österreicher noch einmal die Position der Gegner einer Expansion bekräftigt. Keine große Sportliga würde Neuankömmlingen so einfach die Tür öffnen und sie am Preisgeld-Topf teilhaben lassen, mahnte Wolff. «So etwas verwässert nur die gesamte Liga», sagte der 51-Jährige und stellte fest: «Was wir bisher gesehen haben, hat die Teams nicht überzeugt.»
Mindestens fünf Bewerbungen für einen Einstieg ab 2025 oder danach liegen dem Weltverband vor. Die größte Wucht dürfte das US-Projekt von Ex-Rennfahrer Michael Andretti mit General-Motors-Tochter Cadillac haben. «Ein großer Mehrwert für die Formel 1» wäre dieses Team, versicherte GM-Motorsportdirektor Eric Warren bei NBC. Der Aufbau des Rennstalls Andretti Cadillac für die Saison 2025 sei schon voll im Gange, «weil uns die Zeit davon läuft».
Der englische Rennstall Hitech hat für seine Formel-1-Pläne den kasachischen Milliardär Wladimir Kim als Investor gewonnen, der sein Geld vor allem im Kupfergeschäft verdient hat. Zuvor war der Russe Dmitri Masepin dort Geldgeber, der inzwischen aber von EU-Sanktionen wegen des Kriegs in der Ukraine betroffen ist.
Weitere Anwärter sind der Rennstall Rodin Carlin, der seine Autos in Neuseeland bauen will, und die mit Geld aus Asien unterstützte Unternehmung Lky Sunz. Auch das aus der Golfregion alimentierte Projekt Formula Equal hat sich wohl beworben. Es wirbt damit, dass die Hälfte der Jobs an Frauen vergeben werden soll.
Ausgeglichene CO2-Bilanz nötig
Jeder Kandidat muss bei der Fia seinen langfristigen Wert für die Formel 1 nachweisen. Gefordert sind Motorsport-Erfahrung, Finanzkraft und eine bestehende Infrastruktur. Auch ihren Beitrag zum Erreichen einer ausgeglichenen CO2-Bilanz der Rennserie im Jahr 2030 sollen die Bewerber belegen. Zudem wird für den Fall einer Zulassung eine Eintrittsgebühr von 200 Millionen Dollar (rund 180 Millionen Euro) fällig.
Diese Summe ist einer der Streitpunkte. Angesichts des jüngsten Booms der Formel 1 halten die Widerständler den Betrag für viel zu gering, weil er nicht den Wert eines Startplatzes widerspiegeln würde. Schließlich messen Experten selbst dem chronisch erfolglosen Haas-Team inzwischen einen Wert von rund 700 Millionen Euro zu. Die Scuderia Ferrari als größter Name der Rennserie ist laut dem Magazin «Forbes» rund 3,5 Milliarden Euro wert.
«Das Interesse an der Formel 1 ist schon groß. Ich glaube nicht, dass die Ankunft neuer Teams das Interesse erhöhen würde», sagte Formel-1-Geschäftsführer Stefano Domenicali. In Kürze steht nun wohl die Machtprobe mit dem Fia-Präsidenten an. Er verstehe die Sorgen der aktuellen Teams und wolle niemanden verärgern, beteuerte Ben Sulayem. «Ich bin hier, um das Richtige für den Sport zu tun.» Was das genau ist, darüber gibt es zwischen Boxengasse und Hinterzimmer aber wohl höchst unterschiedliche Ansichten.
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