Gericht verhandelt Mehrkosten von S 21
Es geht um viele Milliarden Euro - um die Frage, wer das alles am Ende bezahlen soll: Vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht streiten sich die Deutsche Bahn und die Projektpartner des Bahnprojekts Stuttgart 21 über die Mehrkosten des Projekts. Die Bahn will mit ihrer Klage erreichen, dass sich das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und der Flughafen Stuttgart finanziell an den Mehrkosten für die Neuordnung des Stuttgarter Bahnknotens beteiligen. Die Gesamtkosten belaufen sich laut Bahn derzeit auf 9,15 Milliarden Euro, zuzüglich eines Puffers in Höhe von 640 Millionen Euro.
Am zweiten Verhandlungstag konkretisierte die Bahn ihre Klageanträge auf Wunsch des Gerichtes, das eine Klage in unbegrenzter Höhe nicht zulassen wollte. Der Konzern will mit seinen Klagen nun erreichen, dass sich die Projektpartner an möglichen Kosten bis zu einer Höhe von rund 11,8 Milliarden Euro beteiligen - und zwar nach einem bestimmten Verteilmechanismus, der im Finanzierungsvertrag des Bahnprojekts für die Verteilung damals abgesicherter Mehrkosten vereinbart worden war.
«Die Summe basiert nicht auf irgendeiner Kostenkalkulation, sondern ist aus dem System der Kostenverteilung hergeleitet», stellte der Prozessbevollmächtigte der Bahn, Ulrich Quack klar. Die Summe leitet sich aus der mehrfachen Wiederholung des im Finanzierungsvertrags geregelten Verteilmechanismus ab.
Knackpunkt des Verfahrens ist die Auslegung der sogenannten Sprechklausel im Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009. In dem Vertrag ist die Verteilung von Kosten bis zu einer Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro geregelt. Wer die Mehrkosten von inzwischen mindestens 4 Milliarden Euro trägt, ist derzeit unklar. Für den Umgang mit möglichen Kostensteigerungen wurde im Finanzierungsvertrag die Sprechklausel verankert. Darin heißt es: «Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und das Land Gespräche auf.»
Was mit der Sprechklausel genau gemeint ist, ist zwischen den Projektpartnern sehr umstritten. Die Bahn geht von einer «gemeinsamen Finanzierungsverantwortung» aus und will erreichen, dass sich die anderen Projektpartner nach dem gleichen Verteilungsschlüssel wie im Finanzierungsvertrag auch an den Mehrkosten beteiligen. Bei Vertragsabschluss sei die Entscheidung, wer Mehrkosten trage, vertagt worden, sagte Quack. Diese Ergänzung müsse jetzt vorgenommen werden. «Ich sehe es nach wie vor so, dass die Bahn genauso wenig verpflichtet ist, die Mehrkosten zu tragen», sagte Quack.
Die Projektpartner sehen das völlig anders und pochen darauf, dass Festbeträge vereinbart worden seien. Die Sprechklausel verpflichte lediglich zu Gesprächen, sagte der Prozessbevollmächtigte des Landes Baden-Württemberg, Henning Berger. Winfried Porsch, Prozessbevollmächtigter der Stadt Stuttgart, verwies darauf, dass die Bahn zudem Bauherrin des Projektes sei. «Die Bahn leugnet Gegebenheiten, die klar sind», sagte er.
Verjährt sind mögliche Ansprüche der Bahn gegen die Projektpartner aus Sicht des Gerichts voraussichtlich nicht. «Wir sind schon der Meinung, dass die Verjährungsfrist erst laufen kann, wenn die Überschreitung der Kosten festgestellt und dokumentiert wird», sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern am Dienstag in Stuttgart. Das sei die vorläufige Rechtsansicht des Gerichts, sagte Kern.
Die Bahn hatte den Lenkungskreis des Projektes im Jahr 2013 darüber informiert, dass die voraussichtlichen Gesamtkosten von Stuttgart 21 auf damals gut 5,9 Milliarden Euro steigen. Da die Bahn die Klage gegen die Projektpartner auf Beteiligung an den Mehrkosten im Jahr 2016 eingereicht hatte, wäre die dreijährige Verjährungsfrist damit nicht überschritten.
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