Geistlicher Missbrauch: Bischöfe wollen Opfern Gehör geben
Auf der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz ist eine Arbeitshilfe zum Umgang mit geistlichem Missbrauch vorgestellt worden. Noch immer gebe es - anders als bei sexualisierter Gewalt - viel zu wenig öffentliches Interesse für die Betroffenen, sagte Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen und einer der Hauptautoren der Arbeitshilfe, in Wiesbaden. Auch gebe es weder im kirchlichen noch im öffentlichen Strafrecht eine Festlegung als Straftat. Bis Donnerstag beraten in Wiesbaden die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz.
Geistlicher Missbrauch kann durch Beeinflussung und Manipulation etwa in der Seelsorge erfolgen. Das kann im Religionsunterricht sein oder bei der sogenannten geistlichen Begleitung von Ordensgemeinschaften oder kirchlichen Gruppen. Aufgebautes Vertrauen kann dann verwendet werden, um andere in eine bestimmte Richtung zu drängen, etwa mit der Aussage «Ich weiß, was Gott für dich will».
Spezifisch kirchliches Phänomen
Bischof Timmerevers sagte: «Opfer von geistlichem Missbrauch haben es nach wie vor sehr schwer, sich Gehör zu verschaffen, eine eigene Stimme in der Aufklärung und Aufarbeitung von Missbrauch zu bekommen.» Anders als beim sexuellen Missbrauch habe es praktisch nie Eintragungen in die Personalakten der Täter oder Täterinnen gegeben. Geistlicher Missbrauch sei ein spezifisch kirchliches Phänomen. Die psychischen oder emotionalen, oft langanhaltenden Folgen seien mit denen des sexuellen Missbrauchs vergleichbar.
Die Arbeitshilfe sei eine «Momentaufnahme», so der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Sie solle in drei Jahren ausgewertet und gegebenenfalls überarbeitet werden. Es gebe auch eine wissenschaftliche Begleitung. Unter den Betroffenen, die sich bisher bei einer Anlaufstelle gemeldet haben, sind den Angaben zufolge viele Ordensfrauen. Es hätten sich aber auch Männer gemeldet. «Geistliche Begleitung muss in die Freiheit führen und nicht in Kontrolle und Abhängigkeit», sagte Timmerevers. Bei geistlichem Missbrauch könne Seelsorge zu solchen Abhängigkeiten und Manipulation führen.
Neuer Vorsitzender: «Polarisierung als Chance betrachten»
Ebenfalls heute wählten die Bischöfe den Fuldaer Bischof Michael Gerber zum stellvertretenden Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Er tritt die Nachfolge von Bischof Franz-Josef Bode an, der vor einigen Monaten in den Ruhestand getreten ist. Mit dem Votum für den 53 Jahre alten Gerber entschieden sich die Oberhirten der katholischen Kirche für den jüngsten der deutschen Diözesanbischöfe.
In einer ersten Stellungnahme kündigte Gerber an, innerhalb der verschiedenen Positionen in der Bischofskonferenz vermitteln zu wollen. «Ich neige dazu, Polarisierung als Chance zu betrachten», sagte Gerber, der 2013 zunächst Weihbischof im Erzbistum Freiburg wurde. Seit 2019 ist er Bischof von Fulda.
Es sei ihm ein «großes Anliegen», den mit dem Reformprozess Synodaler Weg eingeschlagenen Weg gemeinsam mit der Universalkirche weiter zu gehen, sagte Gerber wenige Tage vor der Weltsynode in Rom. In der Deutschen Bischofskonferenz ist Bischof Gerber außerdem Vorsitzender der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste sowie Mitglied der Jugendkommission und der bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexuellen Missbrauchs und von Gewalterfahrungen.
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist der Limburger Bischof Georg Bätzing und damit ein hessischer Bistums-Nachbar. Erfahrung in der Zusammenarbeit und gemeinsame Projekte gebe es bereits zwischen den benachbarten Bistümern, sagte Gerber.
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