Expertenrat bemängelt Ampel-Klimapläne
Die Pläne der Ampel-Koalition zur Lockerung von Vorgaben im Klimaschutzgesetz stoßen bei unabhängigen Sachverständigen auf Skepsis. Mit der Änderung sehe der Rat «eine erhöhte Gefahr für eine Verfehlung der Ziele zur Minderung der Emissionen», sagte der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, Hans-Martin Henning, am Montag in Berlin. Einige Punkte seien aber als Verbesserung zu sehen. Eine abschließende Bewertung sei aber erst möglich, wenn ein konkreter Gesetzesvorschlag vorliege, betonte der Rat.
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, seinen Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein - also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als wieder gespeichert werden können.
Bei der anvisierten Novelle sei unklar, ob ein Einsparziel jeweils punktgenau für ein bestimmtes Jahr gelten solle oder zusammengerechnet für den gesamten Zeitraum bis dorthin, sagte Henning. Man plädiere nachdrücklich dafür, beim bisherigen «Budgetgedanken» für einen ganzen Zeitraum zu bleiben. Eine Änderung verstieße wohl auch gegen das wegweisende Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021.
Bisher wird der jährliche Ausstoß an Treibhausgasen für verschiedene Wirtschaftsbereiche separat erhoben. Überschreitet ein Bereich (Sektor) die mit den deutschen Klimazielen vereinbaren Jahresmengen, müssen die zuständigen Bundesministerien sogenannte Sofortprogramme für mehr Klimaschutz ausarbeiten.
Die Glaubwürdigkeitsfrage
An dieser jährlichen Erhebung der Treibhausgas-Emissionen für jeden Sektor will die Ampel zwar festhalten. Nachsteuern soll die Bundesregierung künftig laut Beschluss des Koalitionsausschusses aber erst, wenn die Daten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren auf eine Verfehlung der Klimaziele für das Jahr 2030 hindeuten - und zwar für alle Sektoren zusammen. Tendenziell werde damit die Verantwortung der jeweiligen Minister geschwächt, sagte Henning. «Ohne das jetzt weiter auszuführen, erschließt sich uns auch nicht, welchen Vorteil es für die Zielerreichung hätte, wenn der Beschluss politischer Maßnahmen nur dann erfolgt, wenn das dafür geltende Kriterium an zwei Jahren in Folge eintritt.»
Die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf, erinnerte daran, dass bislang auch kein Bereich so gut dastehe, dass er Zielverfehlungen anderswo ausgleichen könne. Sie verglich die geplante Reform mit guten Vorsätzen beim Sport. Derzeit müsse sich die Bundesregierung ein detailliertes Fitnessprogramm mit Laufen, Schwimmen und am Wochenende einem «Rundlauf um den See» vornehmen. Mit der geplanten Reform stelle die Regierung im April einfach fest: «Naja, vielleicht sage ich einfach nur, ich will fitter werden bis Ende des Jahres. Und dann ist die Frage, ob das glaubwürdig ist und wie weit man damit kommt.»
Positiv sei aber, dass jede neue Bundesregierung ein Klimaschutz-Programm erstellen solle und dass auf Basis der jüngsten Emissionsdaten künftig Vorausberechnungen (Projektionen) gemacht werden sollten zum Ausstoß in den Jahren 2035, 2040 und 2045, sagte Henning.
Greenpeace: «Schallende Ohrfeige für die Klimapolitik»
Der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, nannte den Bericht «eine höflich formulierte, aber dennoch schallende Ohrfeige für die Klimapolitik der Bundesregierung». Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz Deutschland, erklärte: «Statt sofort wirksam Emissionen im Verkehrs- und Gebäudesektor zu reduzieren und unser aller Zukunft zu sichern, will die Bundesregierung nun die Vorschriften abschaffen, die jeden einzelnen Sektor zum Handeln verpflichten.»
FDP-Vertreter verteidigten die Pläne hingegen. Fraktionsvize Carina Konrad betonte, es gehe keinesfalls um eine Aufweichung der Klimaschutzbemühungen, vielmehr würden diese «verlässlicher und kosteneffizienter». «Zudem vermeiden wir somit harte und unverhältnismäßige Einschnitte in der Mobilität der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Klimaschutz geht nur mit den Bürgern und mit dem Blick auf moderne Technologien.» Die Grünen-Abgeordnete Lisa Badum, gab sich entschlossen: «Das Gesetz darf nicht durchlöchert werden. Als zuständige grüne Berichterstatterin werde ich einem verfassungswidrigen Klimaschutzgesetz nicht zustimmen. Die Ressortverantwortung darf nicht entfallen.»
Mit Blick auf die Treibhausgas-Emissionen des vergangenen Jahres bestätigte der Expertenrat weitgehend jene Zahlen, die das Umweltbundesamt dazu im März veröffentlicht hatte. Demnach sank der Ausstoß leicht um 1,9 Prozent. Es seien rund 746 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt worden, gut 15 Millionen Tonnen weniger als 2021. Das wegen des Ukraine-Krieges geringer als erwartet ausgefallene Wirtschaftswachstum habe den Ausstoß um 9 Millionen Tonnen gedämpft.
Die Sektoren Gebäude und Verkehr haben ihre Zielwerte überschritten. Zwar senkte der Gebäudesektor seine Emissionen 2022 im Vergleich zum Vorjahr um rund 6 Millionen Tonnen, dennoch habe er das Ziel von 107,4 Millionen Tonnen mit mehr als 4 Millionen Tonnen Emissionen überschritten, hieß es im Prüfbericht. Mit nun insgesamt 111,7 Millionen Tonnen habe der Sektor bereits das dritte Jahr in Folge seine Ziele verfehlt.
Auch der Verkehrssektor legte zum zweiten Mal in Folge zu. Dort stiegen die Emissionen um 1,7 Millionen Tonnen auf 148,5 Millionen Tonnen an. Der Zielwert sei mit 9,7 Millionen Tonnen zu viel CO2-Äquivalenten deutlich überschritten worden. Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO2-Äquivalente umgerechnet, Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid. Alle weiteren Bereiche konnten ihre Ziele einhalten, wenngleich die Emissionen im Energiesektor deutlich anstiegen - dort wurde mehr Stein- und Braunkohle verbrannt.
Zur Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke am vergangenen Wochenende sagte Henning, der Ausstieg erhöhe den Ehrgeiz zum Ausbau erneuerbarer Energien. Der Rat habe sich mit dieser Frage aber nicht in seiner Gesamtheit befasst.
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