Wehrt sich gegen die Aussagen von Lothar Matthäus: Bayern-Vorstand Oliver Kahn., © Tom Weller/dpa
Wehrt sich gegen die Aussagen von Lothar Matthäus: Bayern-Vorstand Oliver Kahn. Tom Weller/dpa, dpa
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Zoff bei Tuchel-Start: Kahn kontert Matthäus-Lügen-Vorwurf

02.04.2023

Der traumhafte Bayern-Neustart unter Thomas Tuchel büßte nach Lügenvorwürfen gegen die Bayern-Bosse mächtig an Glanz ein.

Statt unbeschwert die Machtdemonstration des Ensembles um Kapitän Thomas Müller gegen Borussia Dortmund genießen zu können, mussten sich Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic weiter mit Altlasten aus der abrupt beendeten Amtszeit von Julian Nagelsmann beschäftigen und rechtfertigen. Entsprechend grimmig schaute Vorstandschef Kahn am Morgen nach dem 4:2 im Bundesliga-Klassiker, als er nach scharfer Kritik von Rekordnationalspieler Lothar Matthäus mit diesem abrechnete.

«Wir haben zu jeder Zeit die Wahrheit gesagt», beteuerte Kahn im schwarzen Pullover, als er beim TV-Sender Bild live zugeschaltet war und zum Lügen-Vorwurf von Matthäus befragt wurde. «Ich weiß nicht, was Lothar, wie er sagt, da sieht, hört oder sogar fühlt.» Nach einem Zoff der beiden einstigen Teamkollegen am Sky-Mikro unmittelbar vor dem Anpfiff in der Allianz Arena legte Matthäus noch während des Spiels nach. «Ich weiß, dass Oliver Kahn lügt», stichelte der 62-Jährige via «t-online».

«Sau-anstrengende Woche»

Von Erleichterung à la Tuchel war bei Kahn nichts zu merken, als er nach der Rückkehr an die Tabellenspitze den Aufzug verließ und am Samstagabend durch die Stadionkatakomben schlenderte. Aber auch der 49-jährige Tuchel war nach einer «sau-anstrengenden Woche» trotz des eminent wichtigen Siegs nach einem Blackout von BVB-Keeper Gregor Kobel beim ersten Tor «ein bisschen zwiegespalten». Das Ergebnis sei herausragend, sagte Tuchel nach nur einer Trainingseinheit mit dem kompletten Kader. Auf der Mängelliste führte er die Punkte Klarheit, Rhythmus und Sauberkeit im Passspiel an. «Ich bin jetzt nicht nur euphorisch», sagte der einstige Dortmunder Trainer. «Wir müssen nachlegen, nachlegen, nachlegen.»

Die Worte von Tuchel dürfte Kahn als Prediger des «Weiter, immer weiter» gerne vernommen haben. Ganz im Gegensatz zu den nicht verstummenden Fragen nach dem genauen Ablauf der Trennung von Nagelsmann und der auch von dessen Management befeuerten Debatte, wer wen wie wann und auf welchem Weg kontaktiert hatte. Und ob jemand lügt. Die Bayern beteuern, fair mit Nagelsmann umgegangen zu sein - Matthäus zieht das in Zweifel.

Kritik an Matthäus-Aussagen

Matthäus habe sich nach seiner Karriere «über den einen oder anderen Umweg» zum «Chefkritiker des deutschen Fußballs aufgeschwungen», sagte Kahn. Dabei solle man aber «gewisse Grenzen» nicht überschreiten. «Nur wenn man dann den Chefkritiker mal selbst kritisiert, habe ich immer so das Gefühl, damit kann er überhaupt nicht umgehen und lässt sich dann zu solchen halt- und auch stillosen Aussagen hinreißen.» Ehrenpräsident Uli Hoeneß glaubt den Vorständen Kahn und Salihamidzic. «Ich sehe kein Problem für den FC Bayern, sondern eher für Lothar Matthäus. Er muss seine Aussagen beweisen», sagte Hoeneß dem «Kicker». Tuchel als neuer Bayern-Trainer sei eine «Ideallösung».

Nach der Rückkehr an die Tabellenspitze durch das Eigentor von Kobel, einen Doppelpack von Müller und das 4:0 von Kingsley Coman bei zwei späten Gegentreffern durch Emre Can (Elfmeter) und Donyell Malen nahm Kahn lieber die kommenden Aufgaben ins Visier. «Jedes Spiel ist jetzt im Grunde für uns ein Endspiel», sagte er vor dem Pokal-Viertelfinale am Dienstag (20.45 Uhr) gegen den SC Freiburg. Auch Dortmund, das im Cup-Wettbewerb in Leipzig ran muss, mühte schnell den Blick nach vorne. «Wir sind Borussen, wir stehen wieder auf - und das Ding ist noch nicht erledigt», sagte Sportdirektor Sebastian Kehl kämpferisch zur Meisterschaftsfrage.

Beim ersten von vielen Münchner Schlüsselspielen setzte Tuchel gegen seinen Ex-Club Dortmund auf Tugenden, die die Münchner in der Vergangenheit stark gemacht hatten: Defensiv mit einer Viererkette, mit einem dichten Zentrum und einem Müller als zentraler Freigeist hinter der Spitze. Der Kapitän rannte, ackerte, dirigierte - und traf vor den Augen von Bundestrainer Hansi Flick doppelt. Ihn auf ein «Trüffelschwein im Strafraum» zu reduzieren, würde Müller nicht gerecht, meinte Tuchel. «Er hat einfach Bock zu kicken, hat einfach Bock auf Sport. Er ist sich für nichts zu schade und ein superschlauer Spieler.»

Müller witzelt: «Heiter bewölkt»

Müller freute sich, dass er und seine Kollegen «mit dem Rücken zur Wand» geliefert hatten. «Sonst wären dunkle Wolken über der Säbener Straße. So ist es heiter bewölkt», witzelte der Doppeltorschütze. Neben Müller hob auch Nagelsmanns Vertrauensspieler Joshua Kimmich positive Tuchel-Impulse in nur kurzer Zeit hervor. «Seine Ansprache und die Art und Weise fand ich sehr positiv. Ich glaube, dass wir einen Schritt machen werden», sagte Kimmich.

Anders als Modeliebhaber Nagelsmann coachte Tuchel an der Seitenlinie im schlichten Trainingsanzug. Oft nahm er auf der Bank Platz, war gestenreich längst nicht mit allem einverstanden. «Er ist keiner, der an der Seitenlinie rumturnt», sagte Präsident Herbert Hainer. «Er ist ein sehr eloquenter, durchdachter, fachlich hochqualifizierter Trainer, der uns sicherlich guttut.» Hoeneß sprach nach nur einer Woche bereits von «einer Ideallösung».

Gut tat Tuchel auf Anhieb dem stark aufspielenden Leroy Sané. «Jeder weiß, wie überragend gut er sein kann. Aber er ist zu alt, um ein Potenzialspieler oder ein Talent zu sein. Das war nur ein erster Schritt», sagte Tuchel.

Er selbst braucht auch noch weitere Eingewöhnungszeit. «Es fühlt sich noch nicht 1000-prozentig an wie meine Mannschaft», sagte Tuchel. Zum Abschluss eines für ihn bewegenden Abends drückte er sein Mitgefühl für seinen Vorgänger Nagelsmann aus. «Wir versuchen das unter anderem, auch für ihn zu Ende zu machen.»

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