Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird erstmals seit Kriegsbeginn in New York erwartet., © Julia Nikhinson/AP/dpa
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird erstmals seit Kriegsbeginn in New York erwartet. Julia Nikhinson/AP/dpa, dpa
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UN-Generaldebatte: Was in New York zu erwarten ist

17.09.2023

Im UN-Hauptquartier in New York werden sich zur Generaldebatte in den kommenden Tagen 20.000 Menschen und mehr als 140 Staats- und Regierungschefs drängen, doch das Augenmerk wird vor allem auf zweien liegen.

Erstmals seit Kriegsbeginn in der Ukraine wird Präsident Wolodymyr Selenskyj in New York sein, erstmals auch in einem Gebäude mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, der Moskau bei der größten diplomatischen Versammlung der Welt vertritt. Zum Showdown zwischen beiden könnte es bei einem Treffen des Sicherheitsrates kommen, an dem auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) teilnimmt.

Viele der Regierenden vor allem aus Afrika, Lateinamerika und Asien fürchten dabei, dass andere Konflikte, Erwartungen und die Klimakrise im Schatten des Ukraine-Krieges zu kurz kommen könnten. Dabei ist nicht nur Kiew im Abwehrkampf gegen Russland auch auf den sogenannten Globalen Süden angewiesen: Der Westen unter Führung des ebenfalls anreisenden US-Präsidenten Joe Biden auf der einen Seite und China sowie Russland auf der anderen Seite buhlen ebenfalls um die Gunst dieser Staaten. Deshalb scheinen sie zu Zugeständnissen bereit, was Beobachter von einer «Globalen Zeitenwende» sprechen lässt.

Ukraine, Ukraine, Ukraine

Als «Star der Show» soll Selenskyj an drei aufeinanderfolgenden Tagen am East River sprechen: Am Montag bei einem Entwicklungsgipfel zu den UN-Nachhaltigkeitszielen, am Dienstag am Eröffnungstag der Generaldebatte und am Mittwoch im Sicherheitsrat. «Ich würde sagen, dass dieser Besuch von Selenskyj in New York sowohl eine Chance für die Ukraine, als auch ein ziemlich riskanter Moment ist», erklärt UN-Experte Richard Gowan von der Denkfabrik Crisis Group. Selenskyj könne das Wohlwollen vieler Regierungschefs gewinnen und für seine Ideen eines Kriegsverbrechertribunals oder die ukrainischen Bedingungen für Frieden werben. Auf der anderen Seite müsse er verteidigen, dass er Gespräche mit Moskau zum gegenwärtigen Zeitpunkt ablehnt. Dies sei das Gegenteil von dem, was die meisten Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sich wünschten, sagt Gowan. Wenn Selenskyj sich «zu unnachgiebig zeigt, könnte er diese Gelegenheit tatsächlich in eine Art diplomatische Krise für die Ukraine verwandeln».

Besonders bei der mit großer Spannung erwarteten Sitzung des Sicherheitsrates wird es für Selenskyj auf die Balance ankommen. Dort muss er auch auf Vertreter wie Brasiliens Präsidenten Luiz Inácio Lula eingehen, die in ihren Reden Schritte in Richtung Friedensgespräche fordern könnten. In Bezug auf eine erwartete Teilnahme von Lawrow an der Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums könnte es dabei zum direkten Aufeinandertreffen von Selenskyj und dem russischen Außenminister kommen.

«Der Stoff aus dem legendäre UN-Momente gemacht sind», nennt Gowan das. Es scheint dabei wahrscheinlich, dass Selenskyj und Lawrow wechselseitig den runden Tisch vor dem riesigen «Wandbild des Friedens» verlassen werden, wenn der jeweils andere spricht.

«Quantensprung» für die Menschheitsziele?

Die Staaten der Welt hatten sich mit den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen 2015 einen Polarstern für die globale Entwicklung gegeben, mit der etwa Hunger und extreme Armut bis 2030 beendet werden sollen. Doch Covid, der Ukraine-Krieg und eine Schuldenkrise in armen Ländern haben die Ziele extrem zurückgeworfen: Wenn es so weitergeht wie bisher, werden im Jahr 2030 laut UN noch immer 575 Millionen Menschen in großer Armut und mehr als 600 Millionen in Hunger leben.

«Die Nachhaltigkeitsziele brauchen einen globalen Rettungsplan», fordert UN-Generalsekretär António Guterres, der von einem Entwicklungsgipfel am Montag einen «Quantensprung» erwartet. Vor allem wegen des Werbens der Mächte um den Globalen Süden - vertreten durch die Gruppe der G77 unter Führung von Pakistan und Kuba - könnten bedeutende Schritte möglich werden. Eine Erklärung aller Länder am Montag soll unter anderem die «Reform der internationalen Finanzstruktur» unterstützen.

Ziel einer solchen Reform wäre es auch, die Weltbank und andere Institutionen besser für die Entwicklungsländer arbeiten zu lassen und ihnen zum Beispiel günstigere Kredite und Zugang zu mehr Geld zu verschaffen. Die Vereinten Nationen forderten auch immer wieder eine Verringerung der Zinslast, die für arme Länder bei gleicher Verschuldung deutlich höher ist.

Scholz' zweiter New-York-Besuch

Bundeskanzler Scholz zeigt mit seiner Reise nach New York im zweiten Jahr in Folge, dass ihm die Generaldebatte wichtig ist - seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) war nur sporadisch angereist. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Kanzler neben Reden beim Nachhaltigkeitsgipfel am Montag und der Generaldebatte am Dienstag auch Selenskyj zu einem Gespräch treffen wird. Nicht ganz einfach dürfte dies auch wegen dessen Forderung von Marschflugkörpern vom Typ Taurus werden, bei der sich die Bundesregierung zurückhaltend gibt.

Etwas entspannter dürfte ein Termin am Mittwoch werden, bei dem Scholz den Global Citizen Award (Weltbürger-Preis) von der Denkfabrik Atlantic Council erhält. Der Kanzler dürfte auf der Reise auch für seinen Klimaclub werben. Beim Dauerthema der Reform des Sicherheitsrates und dem Streben Deutschlands nach einem ständigen Sitz wird es aber wohl kaum nennenswerte Fortschritte geben.

Scholz - der in New York von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sowie Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) unterstützt wird - dürfte neben Selenskyj der wichtigste europäische Vertreter in New York sein. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Rishi Sunak reisen dieses Jahr nicht an. Chinas Präsident Xi Jinping und Kremlchef Wladimir Putin kommen traditionell ohnehin nicht zur Generaldebatte.

Das bedeutet, dass von den fünf Vetomächten im Sicherheitsrat nur die USA mit Biden auf höchster Führungsebene vertreten ist. Während einige UN-Leute das als ein schlechtes Zeichen für das Profil der Debatte sehen, spielt Guterres den limitierten Star-Appeal runter: Die Inhalte zählten - und überhaupt sei man hier bei den UN, nicht bei der «Vanity Fair», einem «Jahrmarkt der Eitelkeiten».

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