Mitglieder verschiedener Berufsgruppen bei einer Protestaktion der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Berlin., © Carsten Koall/dpa
Mitglieder verschiedener Berufsgruppen bei einer Protestaktion der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Berlin. Carsten Koall/dpa, dpa
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Streiks abgewendet - Einigung im öffentlichen Dienst steht

23.04.2023

Unbefristete Streiks bei Müllabfuhren, Pflegediensten oder Schwimmbädern - mit der Tarifeinigung im öffentlichen Dienst ist ein solches Szenario auch für Verbraucherinnen und Verbraucher vom Tisch. Nach monatelangem Ringen übernahmen die Tarifparteien von Bund, Kommunen und Gewerkschaften am späten Samstagabend in den Kernpunkten den vergangene Woche veröffentlichten Schlichterspruch.

Der Tarifstreit für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist damit beendet. Zwar müssen noch die Gewerkschaftsmitglieder über den Kompromiss endgültig abstimmen. Verdi-Chef Frank Werneke äußerte sich aber überzeugt, die Mitglieder für die Vereinbarung gewinnen zu können.

Mit der größten Tariferhöhung seit Jahrzehnten im öffentlichen Dienst wird für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bund und Kommunen der drastische Anstieg der Verbraucher- und Energiepreise abgefedert. Zunächst sollen steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 3000 Euro die Auswirkungen der Inflation für die Beschäftigten von Bund und Kommunen dämpfen. Die ersten 1240 Euro daraus gibt es bereits im Juni. Ab Juli und bis Februar 2024 sollen dann monatlich jeweils 220 Euro fließen.

«Größe Tarifsteigerung der Nachkriegsgeschichte»

Ab März 2024 erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laut Vereinbarung dann als weiteres Plus einen Sockelbetrag von monatlich 200 Euro brutto sowie eine anschließende Erhöhung von 5,5 Prozent - mindestens aber 340 Euro brutto mehr. Die Laufzeit des neuen Tarifvertrags beträgt 24 Monate.

«Das ist die größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte im öffentlichen Dienst», sagte Verdi-Chef Werneke im Anschluss an die Gespräche.

Die Gesamtkosten des Abschlusses belaufen sich allein für den Bund für die vereinbarte Laufzeit auf rund 4,95 Milliarden Euro. Die Kommunen gehen gar von einem Vielfachen dieser Belastung aus. Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Karin Welge, sprach vom «teuersten Tarifabschluss aller Zeiten», der die ohnehin schon klammen Städte und Gemeinden rund 17 Milliarden Euro kosten werde.

Kommunalverbände begrüßen Tarifeinigung

Die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst bringt aus Sicht von Kommunalverbänden schwere Belastungen für Städte und Gemeinden, ist aber ein vertretbarer Kompromiss. «Der Tarifabschluss ist eine harte Nuss für die Städte in schwieriger Zeit», sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Sie bringe aber Planungssicherheit bis Ende 2024 und könne bei der Gewinnung dringend benötigter Fachkräfte helfen. «Unterm Strich ist es für die Städte ein sehr teurer, aber gerade noch machbarer Kompromiss.»

Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, stellte sich hinter das Ergebnis. «Der Tarifabschluss ist ein guter Kompromiss zwischen den berechtigten Interessen der Beschäftigten, die Tag für Tag sehr engagiert gute Arbeit in den Städten und Gemeinden leisten, auf der einen Seite und den Interessen der kommunalen Arbeitgeber auf der anderen Seite.» Es sei gut, dass nun ein weiterer Tarifkonflikt mit flächendeckenden Streiks im öffentlichen Dienst verhindert worden sei.

Der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, sagte: «Das ist ein nicht einfacher, aber vertretbarer Abschluss.» Positiv sei, dass der öffentliche Dienst seine Attraktivität als Arbeitgeber stärke und die Leistungen seiner Mitarbeiter anerkenne. «Allerdings haben die Gewerkschaften deutlich zu wenig im Blick, dass es den Kommunen gerade bei qualifizierten Fachkräften wie Ingenieuren, Ärzten und IT-Verantwortlichen immer schwerer gelingt, Personal zu halten und zu gewinnen.» Die Einigung sorge nämlich für überproportionale Zuwächse bei unteren Lohngruppen.

An Flughäfen sind weiterhin Warnstreiks möglich

Verdi hatte in den vergangenen Monaten mit unzähligen Warnstreiks regelmäßig Stadtverwaltungen, öffentliche Bäder, Müllabfuhren oder Krankenhäuser lahmgelegt. Gemeinsam mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft - die nach wie vor mit 50 Eisenbahnunternehmen im Tarifkonflikt steht - gab es Ende März einen großangelegten bundesweiten Warnstreik im Verkehrssektor. Auf der Schiene und auch an Flughäfen sind weiterhin Warnstreiks und damit Behinderungen der Fahrgäste möglich, da es hier um andere Branchen geht.

Der erzielte Tarifabschluss gilt für sehr viele Berufszweige - unter anderem für Frauen und Männer, die als Erzieher, Busfahrer, Angestellte von Bädern, Feuerwehrleute, Kranken- und Altenpfleger, Verwaltungsangestellte, Klärwerksmitarbeiter, Förster oder Ärzte arbeiten. Es geht um das Einkommen von über 2,4 Millionen Tarifbeschäftigten der kommunalen Arbeitgeber und 134.000 des Bundes.

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