Schüler-Lehrer-Verhältnis mangelhaft
In Baden-Württemberg gibt es einen massiven Lehrermangel
Der Mangel an Lehrkräften in Baden-Württemberg wird sich nach einer neuen Studie bis zum Jahr 2035 nochmals massiv verschärfen. Nach einer Analyse des Bildungswissenschaftlers Klaus Klemm im Auftrag der Bildungsgewerkschaft GEW dürften bis dahin fast 17 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Wenn das Land seine Ziele bei den Grundschulen und der Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen erreichen wolle, müssten bis 2035 sogar noch deutlich mehr Lehrkräfte eingestellt werden. Nach Berechnungen von Klemm vergrößert sich die Lücke damit auf insgesamt 27 000.
Landesregierung muss handeln
GEW-Landeschefin Monika Stein sagte am Freitag in Stuttgart: "Das sind erschreckende Zahlen." Sie forderte die Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zum Handeln auf. Wenn diese mehr Studienplätze und neue Stellen schaffe, "kann sie ihre eigenen Fehler der vergangenen elf Jahre etwas korrigieren und einen langfristigen Lehrkräftemangel verhindern". Ein Parameter der Fehler der Landesregierung im Bezug auf den Lehrkräftemangel ist das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. In diesem Lehrer-Schüler-Verhältnis ist Baden-Württemberg mit einem Wert von 16,8 bundesweit Schlusslicht. Der Bundesschnitt liegt bei 15,6. An erster Stelle steht Hamburg mit dem Spitzenwert von 13,3.
Scheitert die Inklusion?
Klar sei, dass für die Inklusion und eine bessere Ausstattung der Grundschulen sofort weitere Studienplätze für Grundschulen und Sonderpädagogik nötig seien. Hier sei die Lage am prekärsten. Stein schlug zudem eine Werbekampagne des Landes vor, um mehr junge Menschen für den Lehrerberuf zu begeistern: "Wir bieten den schönsten Beruf der Welt, das könnte man von Seiten der Landesregierung auch mal bewerben." Monika Stein, die vor wenigen Jahren selbst noch am Lehrerpult saß, sagte zum Beruf Lehrer, das es der wunderbarste Beruf sei. Die Gewerkschafterin forderte eine Enquête-Kommission zum Fachkräftemangel im Bildungsbereich. Dass Kretschmann zu vielen Themen einen Strategiedialog ins Leben gerufen habe, aber ausgerechnet zur Bildung nicht, ärgere sie enorm.
Schopper unbeeindruckt
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) zeigte sich unbeeindruckt von der Studie und verwies auf bereits ergriffene Maßnahmen des Landes. "Der zusätzliche Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern ist uns bekannt", sagte die Grünen-Politikerin der dpa. “Wir haben die Studienkapazitäten in den Lehrämtern erhöht, die von dem Mangel an Lehrkräften besonders betroffen sind, und wir nehmen auch über die Kapazitätsgrenzen hinaus Studienanfänger in den Lehrämtern auf.” So seien die Studienplätze für angehende Grundschul-Lehrkräfte fast verdoppelt worden. In der Sonderpädagogik werde ein neuer Studiengang in Freiburg hinzukommen, wodurch weitere 175 Plätze geschaffen werden. "Die Ausbildung mit Studium und Referendariat dauert aber", räumte Schopper ein. Man werde sich daher kurzfristig auch um Quereinsteiger mit einschlägigen Berufserfahrungen wie etwa Sozialpädagogen bemühen.
Schon zum Schulstart Notbetrieb
Erst am Dienstag hatte eine Studie des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) ergeben, dass viele Schulen im Südwesten schon wenige Wochen nach dem Start des Schuljahres teils dramatische Probleme haben, die planmäßigen Unterrichtsstunden abzudecken.
Klemm hält Zahlen der Kultusministerkonferenz für unseriös
Laut Klemms Berechnungen müssen bis 2035 etwa 64 800 Stellen neu besetzt werden, weil Lehrkräfte in Pension gehen und die Schülerzahlen steigen. Im Gegenzug werden demnach aber nur 48 000 angehende Lehrkräfte ihr Studium und Referendariat beendet haben. Die Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK), wonach das Angebot an neuen Lehrkräften in Baden-Württemberg bis 2035 bei 60 550 liege, hält Klemm für unseriös. Da die Zahl der Abiturienten sinke, müsse auch mit weniger Studierenden gerechnet werden, die mit einem Lehramtsstudium beginnen. Hinzu komme, dass bei der Rechnung der Kultusministerkonferenz die Ziele im Koalitionsvertrag im Land nicht einbezogen worden seien. "Allein für die drängendsten Maßnahmen einer im Bundesdurchschnitt liegenden Ausstattung der Grundschulen, der Inklusion und für Schulen in herausfordernden Lagen werden weitere 10 400 Lehrkräfte benötigt", erläuterte Stein. Es könne nicht so weiter gehen, dass die Lehrerinnen und Lehrer bei der Inklusion "verheizt" würden, weil sie viel zu wenige seien.
Kritik aus der Opposition
Stefan Fulst-Blei kritisierte für die SPD-Fraktion, das Land kalkuliere mit Zahlen, die jeglichen Anspruch an Reformen und Verbesserungen vermissen ließen. "Es geht doch nicht darum, den schon jetzt mangelhaften Zustand zu erhalten, sondern die Schulen für die Zukunft besser aufzustellen und krisenfest zu machen." Der bisherige Ausbau der Studienkapazitäten sei nur ein "Tropfen auf den heißen Stein".