Grünen-Spitze will Kurswechsel bei CO2-Speicherung
Kurswechsel bei den Grünen: Die Parteispitze will sich für die lange umstrittene unterirdische Speicherung von Kohlendioxid öffnen. Das geht aus dem Entwurf für das Programm zur Europawahl im Juni 2024 hervor. Die Co-Vorsitzende Ricarda Lang sagte in Berlin, es hinzubekommen, nach Jahrzehnten der Versäumnisse klimaneutral zu werden, sei eine «verdammt schwierige Frage». Sie lasse keine einfachen Antworten zu und stelle «vielleicht auch manchmal alte Gewissheiten» in Frage.
Im Entwurf des Wahlprogramms heißt es, um die Klimaziele zu erreichen, müsse man schnell raus aus Kohle, Öl und Gas und rein in erneuerbare Energien und Wasserstoff. In einigen wenigen Bereichen werde es aber auch in Zukunft Emissionen geben, die schwer oder nach heutigem Stand der Technologie gar nicht zu vermeiden seien, etwa in der Zementindustrie. «In diesen Bereichen wollen wir technologische Chancen nutzen und das CO2 direkt bei der Produktion abscheiden, speichern und gegebenenfalls nutzen», hält der Entwurf fest.
Zuerst hatte die «Süddeutsche Zeitung» über den Kurswechsel berichtet. Im Grünen-Programm zur Europawahl 2019 hieß es noch, «Risikotechnologien» wie die CO2-Abscheidung und -Speicherung würden wegen der unabsehbaren Gefahren für Gesundheit, Trinkwasser und Umwelt abgelehnt.
Verweis auf Gutachten des Weltklimarates
In Deutschland ist die Kohlendioxidspeicherung bisher auf Erprobungs- und Demonstrationszwecke beschränkt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich aber bereits für eine Neuausrichtung ausgesprochen. In einem Ende 2022 vorgelegten Prüfbericht zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz hieß es, um Klimaziele zu erreichen, sei auch eine CO2-Speicherung notwendig.
Lang verwies zudem auf Gutachten des Weltklimarates, wo klar gesagt werde: «Wir sind zu spät dran, auf technologischen Fortschritt zu verzichten.» Es fänden derzeit auf nationaler Ebene Verhandlungen über eine neue Strategie statt. Es müsse zudem einen europaweit einheitlichen Regelungsrahmen geben.
Die Grünen-Klimaexpertin und Bundestagsabgeordnete Lisa Badum sagte, es sei sinnvoll, dass der Bundesvorstand eine Debatte zur «Carbon Capture and Storage»(CCS)-Technik anstoße. «Aus meiner Sicht ist wichtig zu beachten: Es ist besser, das CO2 im Boden zu lassen, als es mit großem Aufwand und viel Geld wieder in den Boden zu verpressen. Bevor wir die Menge des verbrannten Mülls nicht halbiert oder eine echte Bauwende eingeleitet haben, brauchen wir nicht über CCS in der Abfallverbrennung oder der Zementbranche reden. Die europäische Klimapolitik muss den Vorrang echter Dekarbonisierung vor teuren technischen Lösungen sicherstellen.»
Die Grünen wollen ihr Programm zur Europawahl auf einem Parteitag im November beschließen. Das sind weitere Kernpunkte des Entwurfs:
Investitionsprogramm für Innovation
Ab 2026 solle es ein großes «Investitionsprogramm für Innovation und Resilienz» geben. Europa solle im Rahmen einer «Infrastrukturunion» durch starke gemeinsame Infrastrukturen weiter zusammenwachsen - mit einem «voll ausgebauten und integrierten europäischen Schienen-, Strom- und Wasserstoffnetz». Überall in Europa solle der klimaneutrale Umbau der Industrie genauso wie der Aufbau der Industrien von morgen gefördert werden. «Wir setzen alles daran, dass Europa nicht an der Seitenlinie steht, während China oder die USA massiv in die Entwicklung ihres Standortes und der Zukunftstechnologien investieren.»
Sicherheits- und Außenpolitik
Die Grünen wollen die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger koordinieren. Dazu wollen sie etwa auf eine größere Rolle der EU bei der Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern setzen. Um die Zusammenarbeit im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus zu stärken, wird eine «Europäische Nachrichtendienstagentur» vorgeschlagen.
Reformen im Bahnverkehr
Um das Reisen mit dem Zug attraktiver zu machen, wollen die Grünen ein «europaweites einheitliches Ticketsystem». Der Grünen-Co-Vorsitzende Omid Nouripour sagte, es gebe bisher keine einheitliche Plattform der nationalen Bahngesellschaften, um eine Reise zum Beispiel von Berlin nach Madrid zu buchen. Im Entwurf heißt es, Reisende sollten anschauliche und transparente Informationen zu Kosten, Fahrzeiten sowie zur Klimawirkung der jeweiligen Reiseoption bekommen und die für sie beste Option wählen können. «Damit Europa auf der Schiene zusammenrückt, müssen Buchungen einfacher erfolgen.»
Die Grünen wollen außerdem in Europa für das «Flatrate-Prinzip» im Öffentlichen Personennahverkehr werben, das mit dem Deutschlandticket erfolgreich im eigenen Land etabliert worden sei. Das Deutschlandticket solle auch in der ersten Station im Nachbarland gelten, um den grenzübergreifenden Austausch zu stärken.
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