Freispruch im Prozess um Todesflug Rio-Paris
Ein leises Schluchzen und ein ungläubiges «Nein» gehen den Hinterbliebenen des Todesflugs Rio-Paris über die Lippen, als die Vorsitzende Richterin in Paris ihr Urteil spricht. Die Airline Air France und der Flugzeughersteller Airbus sind vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden - obwohl sie laut Gericht nachlässig und unvorsichtig gehandelt haben. Denn einen eindeutigen Kausalzusammenhang zu dem Absturz über dem Atlantik vor bald 14 Jahren mit 228 Toten könne nicht hergestellt werden, sagte Richterin Sylvie Daunis am Montag in Paris.
Für Bernd Gans aus dem bayerischen Vaterstetten, der bei dem Unglück seine 31-jährige Tochter Ines verlor, kommt das Urteil wenig überraschend. «Es ist ein Kampf von zwei Davids gegen zwei große Goliaths gewesen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Natürlich sei er unzufrieden mit der Entscheidung, doch es sei schon absehbar gewesen, dass man wenig Chancen habe. «Es war von der Gegenseite alles aufgeboten, um ihre Schuld kleinzureden, und das ist gelungen.»
Die Air-France-Maschine des Flugs AF 447 war am 1. Juni 2009 auf dem Weg von Rio nach Paris von den Radarschirmen verschwunden. Der Airbus vom Typ A330 stürzte in den Atlantik. Unter den Toten waren 28 Deutsche. Lange war die Ursache unklar. Erst im Mai 2011 wurden die letzten Leichen und der Flugdatenschreiber aus etwa 4000 Metern Tiefe geborgen.
Hätte Air France seine Piloten besser ausbilden können?
In dem recht technischen Verfahren ging es um die Frage, ob Air France seine Piloten besser hätte ausbilden und auf Extremsituationen vorbereiten können. Airbus wurde in der Anklage vorgehalten, die Folgen eines Ausfalls der für die Geschwindigkeitsmessung zuständigen Pilot-Sonden unterschätzt zu haben. Die Sonden waren bei dem Unglücksflug eingefroren. Ein Expertengutachten hatte 2012 geurteilt, die Crew sei danach mit der eigentlich beherrschbaren Lage überfordert gewesen. Airbus und Air France wiesen die Verantwortung für den Absturz zurück und forderten Freispruch.
Das Gericht stellte nun fest, dass die beiden Unternehmen nachlässig oder unvorsichtig gehandelt hätten. Vorfälle mit den Sonden seien von Airbus etwa nicht ausreichend nachverfolgt worden, Informationen seien zurückgehalten worden. Air France hätte seine Piloten besser auf Probleme mit den Sonden hinweisen können. Doch weil nicht eindeutig festgestellt werden könne, dass die Verfehlungen zu dem Absturz führten, hätten diese strafrechtlich keine Relevanz.
Gleichwohl stellte Richterin Daunis fest, dass die Konzerne durch ihr Vorgehen die Chancen minimiert hätten, den Unfall zu verhindern. In einer zivilrechtlichen Anhörung im September soll geklärt werden, ob und wie viel Schadenersatz Hinterbliebene deshalb bekommen sollen. Die freigesprochenen Unternehmen reagierten zurückhaltend auf das Urteil und sprachen den Angehörigen ihr Mitgefühl aus.
Hinterbliebene: «Das macht keinen Sinn»
Das Urteil ist für die Angehörige der Opfer teils schwer nachzuvollziehen. Es würden Fehler der Unternehmen festgestellt, aber sie würden dennoch freigesprochen, kritisierte eine französische Hinterbliebene unter Tränen vor dem Gerichtssaal. «Das macht keinen Sinn.»
Dennoch sagte Gans, der in dem Verfahren als Nebenkläger auftrat: «Es war wichtig, dass das Ganze geführt wurde.» Für die Hinterbliebenen war es immerhin bereits ein Erfolg, dass es in dem jahrelangen juristischen Tauziehen, das auf das Unglück folgte, überhaupt zu einem Prozess kam. 2019 hatten Ermittlungsrichter ein Verfahren zunächst abgewiesen. 2021 schickte ein Berufungsgericht Airbus und Air France dann doch auf die Anklagebank.
Gans erzählte, er habe während des Verfahrens mit vielen Anwälten und Hinterbliebenen sprechen können und gelernt, den Kampf im Hintergrund besser zu verstehen. Die Aussagen von Piloten hätten ihm zudem persönlich bei der Aufarbeitung geholfen. «Wir sind auf jeden Fall froh, dass wir es unternommen haben, gegen diese Front, diese zwei großen Unternehmen zu kämpfen.»
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