Fahrer nach Todesfahrt in Berlin in Psychiatrie
Mehr als zehn Monate nach der Todesfahrt am Berliner Ku'damm sind einige der Opfer in die Hauptstadt zurückgekehrt. Schweigend verfolgen die vier früheren Schüler einer Klasse aus Bad Arolsen in Nordhessen die Urteilsverkündung - und sehen erstmals den Mann, der in ihrem Leben Narben für immer hinterließ.
Der 30-Jährige ist nach Überzeugung des Landgerichts Berlin am 8. Juni 2022 mit einem Auto auf dem Kurfürstendamm (Ku'damm) und der Tauentzienstraße mit Absicht in Menschengruppen gefahren – im Zustand einer akuten Psychose. Eine Frau starb, und 16 Menschen wurden verletzt, einige lebensgefährlich. Das Gericht wertete dies als Mord sowie Mordversuch in 16 Fällen und ordnete am Freitag die dauerhafte Unterbringung des Mannes in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
Zurück bleibt die Frage nach dem Warum für diese «albtraumhafte Tragödie», wie der Vorsitzende Richter Thomas Groß die Tat bei der Urteilsverkündung nannte. Die Hoffnung der Opfer, auf diese Frage eine Antwort zu bekommen, blieb unerfüllt. Möglicherweise habe der Mann sich entschlossen, «gegen seine vermeintlichen Dämonen vorzugehen», so Staatsanwältin Silke van Sweringen in ihrem Plädoyer.
Lehrerin starb noch am Unfallort
Sicher ist laut Gericht: Zum Tatzeitpunkt befand sich der Fahrer in einem psychotischen Zustand, weil er die ihm verordneten Medikamente abgesetzt hatte. Ein paar Tage habe er nicht unter der Aufsicht von Mutter und Schwester gestanden, die sich aufopfernd um ihn gekümmert hätten, so der Richter.
Besonders betroffen von der Todesfahrt war die Schulklasse aus Bad Arolsen. Eine 51 Jahre alte Lehrerin starb noch am Tatort, ihr Kollege (53) sowie elf Schülerinnen und Schüler wurden verletzt. Auch eine 14-Jährige aus Franken gehörte zu den Betroffenen. Weitere Opfer waren eine schwangere Frau sowie zwei 29 und 31 Jahre alte Männer. Das Gericht ging vom Mordmerkmal der Gemeingefährlichkeit aus.
Viele der Opfer traten im Prozess als Nebenkläger auf. Während der rund dreimonatigen Verhandlung verfolgten jedoch lediglich ihre Anwälte das Geschehen. Richter Groß hatte zum Prozessauftakt erklärt, es bestehe die Gefahr einer Retraumatisierung durch das Verfahren. Den Jugendlichen wurde eine zusätzliche psychische Belastung durch eine weitere Zeugenvernehmung erspart. Um ihre Erlebnisse gleichwohl im Prozess zu berücksichtigen, wurden frühere Aussagen verlesen.
Bei der Urteilsverkündung nannte Richter Groß die Namen der Opfer und ihre jeweiligen Verletzungen. «Wir hoffen, dass es möglichst vielen Betroffenen gelingt, abschließen zu können», sagte er. Ihn selbst habe in seiner etwa 30-jährigen Berufstätigkeit bislang kein Verfahren derart emotional berührt.
«Das Verfahren hat erklärt, wie die Tat abgelaufen ist. Brennende Fragen für die Opfer nach dem Warum sind auch nach diesem Verfahren wahrscheinlich nicht befriedigend beantwortet worden», erklärte Rechtsanwalt André Iske, der vier Opfer als Nebenkläger vertrat. Er hofft, dass die Feststellungen des Gerichts zu der erheblichen Erkrankung des Täters den Betroffenen helfen, die Tat einordnen zu können. Dies sei wichtig, um das Geschehen verarbeiten zu können.
Schutz der Allgemeinheit
Alle Prozessbeteiligten waren sich einig, dass es sich bei dem in Armenien geborenen Mann mit deutscher Staatsangehörigkeit um einen schwer kranken Menschen handelt mit einer chronischen paranoiden Schizophrenie. Laut Gutachten war er bei der Tat schuldunfähig und konnte deswegen nicht bestraft werden. Um die Allgemeinheit zu schützen, erfolgt die Unterbringung des Mannes.
«Das ist keinesfalls ein Weniger als eine Verurteilung zu lebenslanger Haft», betonte der Richter. Die Unterbringung erfolge unbefristet - «möglicherweise ein Leben lang.» Nebenklägeranwalt Iske erklärte: «Das ist das wichtige Signal auch an die Gesellschaft» – er werde dort keine Gefahr mehr sein können.
Zudem verhängte das Gericht eine lebenslange Führerscheinsperre gegen den 30-Jährigen. Es folgte damit den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Verteidiger C. Mark Höfler erklärte nach dem Urteil, man könne den behandelnden Ärzten, Gutachtern, dem Betreuer seines Mandanten keine Vorwürfe machen. «Sie haben das Beste gegeben – es war nicht vorhersehbar, es ist wie aus dem Nichts entstanden.» Er gehe davon aus, dass das Urteil rechtskräftig werde.
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