Eliten aus dem Osten - Der harte Weg auf die Chefposten
Wer nichts zu sagen hat, fühlt sich leicht als Bürger zweiter Klasse. Genau diesen Effekt sieht der Ostbeauftragte Carsten Schneider in Ostdeutschland. Denn 33 Jahre nach der Deutschen Einheit sitzen auf den Chefposten in Politik, Medien, Justiz oder Kultur immer noch zu wenige Ostdeutsche, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil. Immerhin sind es etwas mehr als noch vor fünf Jahren, wie aus dem neuen «Elitenmonitor» hervorgeht.
«Es hat eine leicht positive Tendenz, aber es ist noch viel zu tun», sagte Schneider bei der Vorstellung der neuen Zahlen aus dem Forschungsprojekt der Universitäten Leipzig und Jena sowie der Hochschule Görlitz/Zittau.
2018 lag der Anteil der «Eliten» mit ostdeutscher Herkunft demnach bei 10,8 Prozent - 2022 waren es dann zumindest 12,2 Prozent. Den Bevölkerungsanteil gebürtiger Ostdeutscher setzen die Wissenschaftler jedoch mit etwa 20 Prozent an. Und es sei zu früh, von einem Trend zu sprechen, sagte der Leipziger Politikwissenschaftler Lars Vogel.
Der «Elitenmonitor» betrachtet etwa 3000 Spitzenpositionen und schaut sich dafür die öffentlich zugänglichen biografischen Daten der Menschen an, die diese Posten innehaben. Zudem führen die Wissenschaftler Interviews.
Mix von Ursachen
Vogel bestätigte, dass diese fehlende Vertretung in Spitzenposten von der Bevölkerung durchaus wahrgenommen werde. «Das ist keine rein akademische Diskussion», sagte der Wissenschaftler. «Wenn man das wahrnimmt, hat man auch stärker das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein.» Andersherum: Sind einzelne Gruppen in Führungspositionen besser vertreten, kann dies das Gefühl der Benachteiligung mindern.
Aber wie schafft man das? Es gebe einen Mix von Ursachen und dementsprechend auch einen Mix von Handlungsempfehlungen, sagte Politikprofessorin Astrid Lorenz, ebenfalls von der Universität Leipzig.
Zu den Ursachen zählt sie unter anderem die «Langzeitwirkung des DDR-Systems», so etwa fehlende Anerkennung für in der DDR erworbene akademische Abschlüsse in «staatsnahen» Fächern wie Jura, Wirtschaft oder Sozialwissenschaften. Für Führungspositionen werde zudem Englisch als wichtig erachtet, doch seien Sprachkenntnisse ungleich verteilt - zumindest in den Altersklassen, die derzeit für Spitzenposten infrage kommen.
Es gebe keine besondere Förderung für ostdeutsche Studierende, heißt es im Elitenmonitor weiter. Und unter Ostdeutschen könnten sich weniger Menschen vorstellen, selbst eine Führungsposition zu übernehmen, als unter Westdeutschen. Es fehlten Vorbilder, also traue man sich weniger zu. Dazu komme die Tradition einer einst viel weniger hierarchischen Gesellschaft: «Es gehört sich auch nicht, so aufzufallen.» So formulierte es Lorenz.
Mix von Handlungsempfehlungen
«Manches ist nicht von heute auf morgen zu ändern», räumte sie ein. Doch hatte die Politikwissenschaftlerin einige recht einfache Empfehlungen: So könnte etwa Künstliche Intelligenz eigene Fremdsprachenkenntnisse weniger wichtig werden lassen; bei der Vergabe von staatlich bezuschussten Stipendien solle zumindest erfasst werden, woher die Stipendiaten kommen. Und Unis sollten bei ostdeutschen Studenten für die Stipendien werben, die oft Grundlage für lebenslange Netzwerke und Aufstiegschancen seien, sagte Lorenz.
Der Ostbeauftragte der Linksfraktion, Sören Pellmann, ist sicher, dass es mehr braucht. «Die Unterrepräsentation von Ostdeutschen in Führungspositionen der Gesellschaft wird nicht von allein verschwinden, sondern wir brauchen eine Ostquote - zumindest in Bundesbehörden und Bundesministerien», forderte Pellmann. Schneiders Bilanz nach einer halben Legislaturperiode nannte er bescheiden: «Schneider beklagt viel, handelt aber kaum.»
SPD-Politiker Schneider sieht das naturgegeben anders. Eine Ostquote lehnt er ab, schon weil «ostdeutsch» nicht juristisch wasserdicht zu definieren wäre. Stattdessen setzt er auf die langen Linien: «Oben kommen nur die an, die unten eingestiegen sind.»
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