Das Umfragehoch für die AfD und das gleichzeitige Zustimmungstief für die Ampel-Regierung haben in Berlin eine Diskussion über die Ursachen ausgelöst., © Hendrik Schmidt/dpa
Das Umfragehoch für die AfD und das gleichzeitige Zustimmungstief für die Ampel-Regierung haben in Berlin eine Diskussion über die Ursachen ausgelöst. Hendrik Schmidt/dpa, dpa
  • Infoline
  • DPA-News

Diskussion über AfD-Umfragehoch

04.06.2023

Bei der Ursachensuche für das aktuelle AfD-Umfragehoch gehen die Meinungen auseinander. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sieht ähnlich wie CDU-Chef Friedrich Merz die Regierungspolitik als ausschlaggebend. «Die ständige Uneinigkeit in der Ampel ist eine Steilvorlage für Populisten», sagte er der «Bild am Sonntag» («BamS»). Die Bundesregierung müsse wieder Politik machen, die die Menschen erreiche. «In der Ukraine herrscht Krieg, und wir kümmern uns um Nebensächlichkeiten wie gendergerechte Sprache. Das ist doch absurd», sagte Haseloff. Er kritisierte auch die andauernde Diskussion über das geplante Heizungsgesetz.

Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei SPD, Dirk Wiese, sieht hier eine Ursache: «Die sehr hohen Werte für die AfD sind auch auf die Debatte über das Habecksche Heizungsgesetz zurückzuführen», sagte er der «BamS». Gerade als SPD müsse man Bürgern daher einen umsetzbaren, ideologiefreien und bezahlbaren Entwurf liefern.

Grüne sehen auch die Union verantwortlich

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, rief die Koalition zur Geschlossenheit auf: «Die Ampel-Koalition muss zu ihrer Handlungsfähigkeit zurückfinden und damit aufhören, öffentlich zu streiten.» Sie gab aber auch CDU und CSU eine Mitschuld am AfD-Umfragehoch: «Die Union sollte sich darüber im Klaren sein, dass das Kopieren der menschenverachtenden Positionen der AfD auf das Konto des Originals einzahlt.»

FDP-Fraktionschef Christian Dürr glaubt nicht, dass Streit in der Ampel ausschlaggebend für die Entwicklung ist. «Es ist gut und richtig, dass es klare Unterschiede zwischen den demokratischen Parteien gibt. Nur dann haben die Menschen eine echte Wahlmöglichkeit.» Man solle nicht der Erzählung der AfD auf den Leim gehen, alle demokratischen Parteien wollten ohnehin das Gleiche.

AfD gleichauf mit Kanzlerpartei SPD

Wäre an diesem Sonntag Bundestagswahl, könnte die AfD nach dem aktuellen ARD-«Deutschlandtrend» mit 18 Prozent der Stimmen rechnen. Sie läge damit zusammen mit der Kanzlerpartei SPD (auch 18) auf dem zweiten Platz hinter CDU und CSU (29). Einen solchen Wert habe die AfD bisher nur einmal, im September 2018, erreicht.

Der «Deutschlandtrend» ergab auch: Aktuell ist nur noch jeder Fünfte mit der Arbeit der Ampel-Koalition zufrieden, das sei der schwächste Wert seit Koalitionsbeginn. Woran das liegt, dazu gibt es verschiedene Erklärungsversuche.

Erklärungsversuch 1: Unzufriedenheit

«Die AfD profitiert einerseits von der Sorge einer wachsenden Zahl von Bürgern über das Ausmaß und die Folgen der Migration und andererseits von der Angst über die Kosten der Energie- und Klimapolitik der Regierung, wobei viele AfD-Anhänger kein Verständnis für die Notwendigkeit der von der Koalition vorgeschlagenen Maßnahmen aufbringen», sagte der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter der dpa.

Im «Deutschlandtrend» gaben zwei Drittel der AfD-Sympathisanten an, die Partei wegen der Migrationspolitik wählen zu wollen, knapp die Hälfte nannte die Energiepolitik. Themen wie Inflation oder Soziales landeten weit dahinter.

Viele, die im Augenblick die AfD favorisierten, seien «einfach enttäuscht» und verlören zunehmend das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. «Das liegt vor allem an der großen Verunsicherung, die die Ampel durch ihre führungslose Chaos-Politik verursacht, sei es bei den Heizungen, bei der Gesundheitsversorgung oder beim Thema Zuwanderung.»

Sein CSU-Kollege Martin Huber sagte der «Augsburger Allgemeinen», die Ampel regiere «meilenweit an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei» und verunsichere «mit ihrer Brechstangen-Politik die Bevölkerung».

Erklärungsversuch 2: Ampel-Dauerstreit

Wenn Politiker und Parteien sich streiten, kommt das bei Wählern nicht gut an, wird gern von Umfrageexperten betont. Und gestritten wird in der Ampel viel seit einigen Monaten. Vor allem Grüne und FDP liegen über Kreuz beim Gebäudeenergiegesetz mit Vorgaben für den Einbau neuer Heizungen.

SPD-Präsidiumsmitglied Michael Roth riet der Koalition bei Twitter, sich «wieder als Team» zu sehen, intern zu streiten und Probleme zu lösen. Er forderte außerdem die Union dazu auf, nicht «populistisch» draufzuhauen, und appellierte an die Medien, zur «Versachlichung» beizutragen.

Ähnlich sehen es die Grünen. Sie haben CDU und CSU eingeladen, gemeinsam mit ihnen der AfD entgegenzutreten. Die Bundesgeschäftsführerin der Partei, Emily Büning, findet: «Die aktuellen Umfragen sind ein Warnsignal und Auftrag für alle demokratischen Parteien. Wir laden die Union ein, mit uns zusammen, die Feinde der Demokratie zu bekämpfen.» Von Populismus, Schuldzuweisungen und Streit profitiere am Ende vor allem die AfD, «die für ihre eigenen Zwecke Verunsicherung streut und mit Ängsten spielt», argumentierte Büning.

Erklärungsversuch 3: Zuspitzung treibt Wähler zur AfD

Einige geben den Unionsparteien eine Mitschuld an den Zuwächsen bei der AfD. Die Theorie: Wenn CDU und CSU die Ampel mit zu scharfen Worten traktieren oder sich bei Themen wie Migration AfD-Positionen annähern, um Wähler zurückzugewinnen, stärkt das nur die Rechten selbst.

«Tagesschau.de» zitierte heute den Lüneburger Politikwissenschaftler Michael Koß. Seiner Ansicht nach besteht «natürlich immer die Gefahr, dass man Wählerinnen und Wählern damit das Original schmackhaft macht. Und das Original ist bei allem rhetorischen Rabatz, den die Union schlägt, immer die AfD.»

Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor wies solche Überlegungen im Sender «Welt» zurück: «Für das Erstarken der AfD trägt nicht die CDU die Verantwortung, sondern das ist Schuld dieser grottenschlechten Bundesregierung.» Sein Parteikollege Norbert Röttgen schrieb dagegen bei Twitter: «Auch die Union sollte sich selbstkritisch fragen, warum wir praktisch nicht profitieren von so einer großen Unzufriedenheit mit der Regierung.»

Erklärungsversuch 4: Mehr AfD-Wähler aus Überzeugung

Die AfD ging derweil mit Jubelstimmung ins Wochenende: 18 Prozent seien nur der Anfang, twitterte AfD-Co-Chefin Alice Weidel am Freitag. «Unser Versprechen im Falle einer Regierungsbeteiligung: Wir nehmen die grünen Wahnsinnsgesetze wieder zurück», fügte sie hinzu.

Nach Ansicht ihres Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla ist die AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, «keine bloße Protestpartei». Er sehe vielmehr einen Trend, dass «immer mehr Bürger uns aus Überzeugung wählen», sagte er den Funke-Zeitungen.

Im «Deutschlandtrend» gab allerdings nur ein Drittel der AfD-Anhänger an, die Partei aus Überzeugung wählen zu wollen, zwei Drittel nannten Enttäuschung über die anderen Parteien als Grund. Politikwissenschaftler Jürgen Falter sieht hier Chancen: Letztere Gruppe könne durch eine andere Politik eventuell wieder zurückgewonnen werden, sagte er.

Besonders gute Werte hat die AfD im Osten des Landes. So kam sie in Umfragen in Brandenburg zuletzt auf 23, in Sachsen auf 26 und in Thüringen auf 28 Prozent. In allen drei Bundesländern werden nächstes Jahr neue Landtage gewählt.

Weitere Umfrage sieht AfD gleichauf mit SPD

Die AfD kann in einer weiteren Umfrage mit der Kanzlerpartei SPD gleichziehen. Einer Insa-Erhebung für die «Bild am Sonntag» zufolge könnte die Partei, wäre an diesem Sonntag Bundestagswahl, 19 Prozent (+1) der Stimmen holen. Das sei der höchste Wert, den das Meinungsforschungsinstitut Insa jemals für die AfD gemessen habe, hieß es bei Bild.de. Ebenso viele Befragte würden demnach SPD wählen (-1).

CDU und CSU liegen mit 27 Prozent (-1) vorn. Grüne und FDP bleiben im Vergleich zur Vorwoche unverändert bei 13 und 9 Prozent. Die Linke kann um einen Punkt auf 5 Prozent zulegen.

© dpa-infocom, dpa:230602-99-911629/11