Aufzeichnung im Gericht: Richterbund lehnt Kompromiss ab
Mit seinem Kompromissvorschlag zur Aufzeichnung der Hauptverhandlung im Strafverfahren hat Bundesjustizminister Marco Buschmann den Deutschen Richterbund (DRB) nicht überzeugt.
«Zwar sollen Videobilder nach den neuesten Plänen immerhin nicht mehr verpflichtend sein, dennoch bleiben gravierende Probleme ungelöst», sagte der DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn der Deutschen Presse-Agentur. Denn auch bei Tonaufnahmen bestehe die Gefahr, dass Mitschnitte den Weg in die Öffentlichkeit finden, Opfer dadurch bloßgestellt und Zeugen - etwa in heiklen Staatsschutzverfahren - gefährdet würden.
Buschmann hatte nach Kritik von Richtern und Staatsanwälten an seinem ursprünglichen Vorschlag vor zwei Wochen einen neuen Referentenentwurf für die Verpflichtung zur Aufzeichnung der Hauptverhandlung im Strafverfahren zur Abstimmung an die anderen Ressorts der Bundesregierung geschickt. Dieser sieht die ursprünglich vorgesehene Videoaufzeichnung nun nicht mehr zwingend vor. Außerdem sollen die Justizbehörden der Länder mehr Zeit als ursprünglich geplant bekommen, um die Technik für Tonaufzeichnung und Transkription zu beschaffen. Am Kern seines Vorhabens hält der FDP-Politiker aber fest. Dass sich Verfahrensbeteiligte bislang nach einem mitunter monatelangen Prozess alleine auf ihre Notizen und ihr Gedächtnis verlassen müssten, sei nicht zeitgemäß, betonte Buschmann.
«Beweisaufnahme über die Beweisaufnahme»
Der erste von Buschmann im November vorgelegte Entwurf für ein «Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung» sah noch vor, die Hauptverhandlung künftig in Bild und Ton aufzuzeichnen und die Tonaufzeichnung mittels Transkriptionssoftware in ein Textdokument umzuwandeln.
Der Richterbund befürchtet jedoch, dass das Vorhaben auch in der neuen Fassung zu längeren Verfahren führen könnte, «sofern die Gerichte sich künftig auf Grundlage der Aufzeichnungen im Verfahren mit einer Art "Beweisaufnahme über die Beweisaufnahme" befassen müssten.» Würde der Entwurf in seiner aktuellen Form umgesetzt, käme im Ergebnis zudem ein erheblicher technischer und personeller Mehraufwand auf die Gerichte zu, dem kein erkennbarer Nutzen für die Wahrheitsfindung gegenüberstehe, sagte Rebehn. Bund und Länder sollten sich in den kommenden Jahren besser auf den flächendeckenden Umstieg auf die elektronische Akte sowie den reibungslosen digitalen Informationsaustausch der Justiz mit Behörden, Anwälten und Bürgern konzentrieren.
Dem Vernehmen nach hat das Bundesinnenministerium dem Entwurf in seiner aktuellen Version noch nicht zugestimmt. Hier gibt es wohl ebenfalls Bedenken, was den Schutz besonders gefährdeter Zeugen angeht. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Stephan Thomae warb am Mittwoch dagegen für das Vorhaben seines Parteifreundes Buschmann. Er sagte: «Um das Strafverfahren zu modernisieren und die Wahrheitsfindung zu erleichtern, dürfen wir uns dem Einsatz technischer Mittel nicht verschließen.»
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